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einen andern ist. „Duo si faciunt idem, non est idem.“ Wenn ich von dem Recht der freien Wahl Gebrauch mache, sündige ich nicht, 1. Kor. 7, 28. Aber es kann mir das eine, was ich wähle, weniger nützlich, dienlich, förderlich sein als ein anderes, ja sogar schädlich, durch die begleitenden Umstände, nicht an sich. Auf diesem Gebiet der Freiheit, wo der Mensch den Willen Gottes im einzelnen in der Anwendung auf seine speziellen Lebensverhältnisse studieren, wo er erst durch manches Mißlingen, durch manchen Fehler hindurchgehen muß, bis er das Rechte findet und es zu einiger Vollkommenheit im sittlichen Handeln bringt, gibt es verschiedene Grade und Stufen des Guten, eine mehr oder minder vollendete Darstellung desselben in den verschiedenen Christen. Zur Vollendung im Guten gehört auch die Form, das Edle und Schickliche (das sittlich Schöne), Phil. 4, 8. – Hier ist dem Christen eine Schule eröffnet, in der er Lebensweisheit und Lebensklugheit, die in allen Fällen möglichst das Rechte trifft, lernen kann. Hier ist ihm auch eine Bahn der Ehren eröffnet, wo er sich durch Gebrauch und Erweckung seiner Gaben auszeichnen und eine gute Stufe erwerben kann, 1. Kor. 9, 24. 25; 1. Tim. 3, 13. – Wie man auf diesem Gebiete das Rechte und damit Gottes Wille treffen kann, so kann man auch fehlen und eine Thorheit begehen, ja durch Umstände auch sündigen und schwer sündigen. Val. Löscher sieht auf dem Gebiet des Erlaubten im Mißbrauch desselben ein ἥττημα (1. Kor. 6, 7), einen Fehler (ἥττημα an jener Stelle: ein Mangel an christlicher Vollkommenheit, der eine Schädigung des Lebensstandes für die Betreffenden bedeutet), der unterschieden von ἁμαρτία und κατάκριμα ist, aber wohl beides werden kann.


§ 64.
Die Selbstbeschränkung der individuellen Freiheit im Erlaubten.

 Auf dem Gebiete des Erlaubten gibt es indessen Rücksichten, welche dem Christen eine Beschränkung im Gebrauch der Freiheit auferlegen. Es ist dies:

 1. Die Rücksicht auf sich selbst, und zwar zunächst die Wahrung seiner inneren Unabhängigkeit vom Genuß. Der Mensch soll nicht ein Sklave, auch nicht des an und für sich erlaubten Genusses sein, weil es des Christen unwürdig ist, wenn er sich von irgend einer Gewohnheit beherrschen läßt, daß er nicht auch einmal auf den erlaubten Genuß verzichten kann, 1. Kor. 6, 12; 7, 29–31.