Seite:George Sand Indiana.djvu/31

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anderen gewährt. Herr von Carvajal war von seinen politischen Leidenschaften so eingenommen und durch die Vernichtung seiner ehrgeizigen Pläne so gereizt, daß er in den Kolonien der grausamste Pflanzer und der unangenehmste Nachbar wurde. Seine Tochter hatte unter seiner finsteren Laune entsetzlich gelitten. Aber indem sie fortdauernd die Leiden der Sklaverei vor Augen sah, hatte sie sich eine musterhafte äußere Geduld, eine bewundernswürdige Nachsicht und Güte gegen ihre Untergebenen, zugleich aber auch einen eisernen Willen und eine ungewöhnliche Widerstandskraft gegen alles erworben, was sie zu unterdrücken drohte. Als sie Delmare heiratete, hatte sie nur den Herrn und das Gefängnis gewechselt. Sie liebte ihren Gatten nicht, vielleicht nur aus dem Grunde, weil man es ihr zur Pflicht machte, ihn zu lieben.

Ein unbekanntes Übel nagte an ihrer Jugend. Sie war kraft- und schlaflos. Vergeblich suchten die Ärzte einen organischen Fehler in ihr zu entdecken, sie hatte keinen. Ihre gesamten Kräfte schwanden fast gleichmäßig, der Schlag ihres Herzens wurde immer schwächer, ihr Blut zirkulierte nur bei Fieberanfällen; noch einige Zeit, und die arme Gefangene wäre gestorben. Aber wie groß auch ihre Mutlosigkeit war, so blieb die unbewußte Sehnsucht nach einem anderen Herzen, das mit ihr fühlen konnte, doch immer wach. Das Wesen, welches sie bis dahin am meisten geliebt hatte, war Noun, die heitere, mutige Gefährtin ihrer Leiden; und der Mann, der ihr die meiste Teilnahme gezeigt hatte, war ihr phlegmatischer Vetter Sir Ralph. Aber welche Nahrung für die verzehrende Tätigkeit ihrer Gedanken konnte ihr von der Gesellschaft eines armen Mädchens, unwissend und verlassen wie Indiana selbst, und derjenigen eines Engländers geboten werden, der nur für die Fuchsjagd leidenschaftlich eingenommen war?

Frau Delmare war wirklich unglücklich, und das erstemal, da sie in ihrer eisigen Atmosphäre den warmen Hauch eines jungen, leidenschaftlichen Mannes fühlte,

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George Sand: Indiana. Karl Prochaska, Leipzig [u.a.] [1904], Seite 31. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:George_Sand_Indiana.djvu/31&oldid=- (Version vom 1.8.2018)