Seite:Gottlob Frege, Ueber Begriff und Gegenstand, 1892.pdf/16

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Die Wörter „Gegenstand“ und „Begriff“ dienten dann nur dazu, die verschiedene Stellung in der Beziehung anzudeuten. Das kann man thun; wer aber hiermit die Schwierigkeit vermieden glaubt, irrt sehr. Sie ist nur verschoben; denn von den Theilen eines Gedankens dürfen nicht alle abgeschlossen sein, sondern mindestens einer muss irgendwie ungesättigt oder prädicativ sein, sonst würden sie nicht aneinander haften. So haftet z. B. der Sinn der Wortverbindung „die Zahl 2“ nicht an dem des Ausdrucks „der Begriff Primzahl“ ohne ein Bindemittel. Ein solches wenden wir an in dem Satze „die Zahl 2 fällt unter den Begriff Primzahl“. Es ist enthalten in den Worten „fällt unter“, die in doppelter Weise einer Ergänzung bedürfen: durch ein Subject und einen Accusativ; und nur durch diese Ungesättigtheit ihres Sinnes sind sie fähig, als Bindemittel zu dienen. Erst wenn sie in dieser doppelten Hinsicht ergänzt sind, haben wir einen abgeschlossenen Sinn, haben wir einen Gedanken. Ich sage nun von solchen Worten oder Wortverbindungen, dass sie eine Beziehung bedeuten. Nun haben wir bei der Beziehung dieselbe Schwierigkeit, die wir beim Begriffe vermeiden wollten; denn mit den Worten „die Beziehung des Fallens eines Gegenstandes unter einen Begriff“ bezeichnen wir keine Beziehung, sondern einen Gegenstand, und die drei Eigennamen „die Zahl 2“, „der Begriff Primzahl“, „die Beziehung des Fallens eines Gegenstandes unter einen Begriff“ verhalten sich ebenso spröde zu einander wie die beiden ersten allein; wie wir sie auch zusammenstellen, wir erhalten keinen Satz. So erkennen wir leicht, dass die Schwierigkeit, welche in der Ungesättigtheit eines Gedankentheils liegt, sich wohl verschieben, aber nicht vermeiden lässt. „Abgeschlossen“ und „ungesättigt“ sind zwar nur bildliche Ausdrücke, aber ich will und kann hier ja nur Winke geben.

Die Verständigung mag erleichtert werden, wenn der Leser meine Schrift Function und Begriff vergleicht. Bei der Frage nämlich, was man in der Analysis Function nenne, stösst man auf dasselbe Hemmniss; und bei eindringender Betrachtung wird man finden, dass es in der Sache selbst und in der Natur unserer Sprache begründet ist, dass sich eine gewisse Unangemessenheit des sprachlichen Ausdrucks nicht vermeiden lässt und dass nichts übrig bleibt, als sich ihrer bewusst zu werden und ihr immer Rechnung zu tragen.

Jena. G. Frege.

Empfohlene Zitierweise:
: Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie, 16. Jahrgang. O. R. Reisland, Leipzig 1892, Seite 211. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Gottlob_Frege,_Ueber_Begriff_und_Gegenstand,_1892.pdf/16&oldid=- (Version vom 1.10.2017)