Seite:Graesse Sagenschatz Sachsens II 244.jpg

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plötzlich in Verfall. Die Ursache war folgende. Auf der östlichen Kuppe des Berges stand eine Burg, welche dem Ritter von Rothstein gehörte. Derselbe war aber ein gefürchteter Raubritter, und sein Treiben brachte es bald dahin, daß die Kapelle von Niemandem mehr besucht ward. Einst sah er vom Fenster seines Schlosses aus einen von kostbar gekleideten Dienern begleiteten Wagen auf der Landstraße fahren, und da eben ein großer Theil seiner Leute auf einem Raubzuge aus war, konnte er nur durch List hoffen, einen glücklichen Fang zu thun. Er legte also ein Pilgerkleid an, und machte sich so unkenntlich wie möglich, stieg den Berg hinab und begab sich in das Haus eines Landmanns, vor welchem der Wagen Halt gemacht hatte. Er gab vor, er komme aus fernen Landen und wolle eines Gelübdes halber nach der Georgenkapelle pilgern, und es gelang ihm auch, die Besitzerin des Wagens, eine vornehme polnische Edelfrau, die nach dem Tode ihres Gemahls auf einer Reise durch Deutschland begriffen war, zu veranlassen, die Pilgerwanderung nach dem nahen Berge mitzumachen. Er nahm, um Alle recht sicher zu machen, den Landmann als Führer mit, und so stiegen sie denn nur noch in Begleitung einer einzigen Dienerin der Dame den Berg hinan. An der Kapelle angelangt, gelang es ihm leicht, den nichts Böses ahnenden Bauer auf die Seite zu locken und zu ermorden, und einige seiner Knechte, die in der Nähe der Kapelle verborgen lagen, ergriffen ohne Mühe die Fremde und schleppten sie auf den Rothstein, allein die Dienerin entging ihnen durch die Schnelligkeit ihrer Füße, eilte ins Dorf herab und machte Lärm. Einige zufällig anwesende Ritter von ihr zur Befreiung ihrer Herrin aufgefordert, beschlossen, wo möglich das Raubschloß durch Ueberfall zu nehmen, es glückte ihnen auch, weil die Besatzung eben nicht im Schlosse war, einzudringen, der Ritter und die wenigen Knechte, die sich oben befanden, fielen nach verzweifelter Gegenwehr, allein die Edeldame fanden sie nicht – wahrscheinlich hatte sie der Bösewicht ermordet. Von Zorn entbrannt steckten sie das Raubnest in Brand, es stürzte

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Johann Georg Theodor Grässe: Der Sagenschatz des Königreichs Sachsen. Band 2. Schönfeld, Dresden 1874, Seite 244. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Graesse_Sagenschatz_Sachsens_II_244.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)