Seite:Graesse Sagenschatz Sachsens I 006.jpg

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daß sie so zehe und fest sey? ließ er mir sagen: sie wäre von einer alten Böhmischen 100jährigen Ganß[1], einer seiner alten Schulmeister hätte ihn damit verehret, und gebeten, weil sie sehr gut wäre, er wolte sie zu seinem Gedächtniß behalten und brauchen. Er hätte sie auch selbst temperiret: daß sie aber so lang wehret und so fest wäre, käme daher, weil man ihr den Geist nicht nehmen, noch die Seele, wie mit andern Federn geschicht, herausziehen konte, darüber er auch sich selbst nicht genug verwundern könne. Bald darnach kommt ein ander Geschrey aus, es wären aus der langen Mönchsfeder unzehlig viel andere Schreibfedern hier zu Wittenberg gewachsen, und es sey mit Lust anzusehen, wie sich viel gelehrte Leute darum reissen, und meynen einestheils, diese neue junge Federn würden mittler Zeit auch so groß und lang werden, wie dieses Mönchs Feder, und es würde gewiß etwas sonderliches auff diesen Mönch und seine lange Feder erfolgen. Da ich nun gäntzlich im Traum bey mir beschloß, mich je eher je besser mit dem Mönch in eigner Person zu unterreden, da wachte ich endlich zum dritten mahl auf, und war jetzo Morgen worden, wunderte mich sehr über den Traum, gedacht ihm nach und bildete mir wohl ein, wie er mir nach einander vorkommen und zeichnete mir bald die vornehmsten Stücke zum Gedächtniß auf, bei gäntzlicher Meinung, dieser Traum sey nicht ohne Bedeutung, weil er mir so oft ist vorkommen, und bin bald willens, ihn meinem Beichtvater zu offenbaren, doch habe ich E. L. vorhin auch etwas wissen lassen, E. L. und Cantzler sagen mir ihr Gutdünken davon. Herzog Johann sagte: Herr Cantzler, was dünket euch? von Träumen ist nicht viel allemal zu halten, doch sind sie auch nicht gar zu verwerffen! Wenn wir hier einen verständigen, frommen Joseph oder Daniel hätten, der könte es treffen. Der Cantzler spricht: E. Churf. Gnaden


  1. Damit ist unbezweifelt Huß gemeint, von dem erzählt wird, er habe auf dem Scheiterhaufen gesagt: Jetzt bratet Ihr eine Gans (Huß, böhmisch = Gans), doch in 100 Jahren wird ein Schwan (Luther, böhmisch = Schwan) kommen, den werdet Ihr ungebraten lahn.
Empfohlene Zitierweise:
Johann Georg Theodor Grässe: Der Sagenschatz des Königreichs Sachsen. Band 1. Schönfeld, Dresden 1874, Seite 6. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Graesse_Sagenschatz_Sachsens_I_006.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)