Seite:Graesse Sagenschatz Sachsens I 120.jpg

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Frau und Schwiegereltern befanden sich gegen Abend in der Wohnstube, und wollten gerade zu Abend essen. Da ging die Mutter, während jene sich schon zu Tische gesetzt hatten, noch einmal in die obengedachte mit Lichtern hellerleuchtete und neben der Wohnstube befindliche Stube, erschrack aber fürchterlich und schrie laut auf, als sie über das Gesicht des todten Kindes sich eine alterthümlich gekleidete Frauensperson mit einer großen Flügelhaube, wie solche noch jetzt auf dem Lande alte Bäuerinnen zu tragen pflegen, bücken sah. Auf das Geschrei der Frau stürzten die in der Wohnstube befindlichen Personen heraus, konnten aber nichts mehr erblicken. Später erfuhr ich beim Nacherzählen dieser Geschichte von einem ältern Herrn, daß sich zu Anfang dieses Jahrhunderts in diesem Logis die Haushälterin eines Hofbeamten, Namens Kost, die, wie er aus der Beschreibung des Phantoms abnahm, ganz so gekleidet zu gehen pflegte – er hatte sie oft gesehen – aus Melancholie das Leben durch Erhängen genommen hatte, und also jedenfalls mit der nicht zur Ruhe gekommenen Erscheinung identisch war. Späterhin scheint aber auch dieses Gespenst ganz verschwunden zu sein, denn man hat nichts wieder von ihr gehört noch gesehen und die Sage von dem jährlichen Sterben eines dort Wohnenden hat sich längst als unwahr herausgestellt.


135) Das Männchen im St. Jakobsspitale zu Dresden und auf der Sporergasse daselbst.

Ueber dem Thore des im J. 1859 eingerissenen St. Jacobsspital an der Ecke der Am See genannten Gasse, der Meilensäule gegenüber zu Dresden befand sich sonst auf einer steinernen Console das Bild eines kleinen Männchen. Dieses hat man früher mehrmals herabgenommen, aber immer wieder hinaufstellen müssen, weil es dann so lange in dem gedachten Spitale rumorte und mit Steinen warf, bis es wieder an seiner frühern Stelle stand. Dasselbe fand auch bei dem Hinwegnehmen des Männchens über der Thüre des frühern Arnoldischen Hauses, Sporerg. 6 statt.

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Johann Georg Theodor Grässe: Der Sagenschatz des Königreichs Sachsen. Band 1. Schönfeld, Dresden 1874, Seite 120. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Graesse_Sagenschatz_Sachsens_I_120.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)