Seite:Graesse Sagenschatz Sachsens I 143.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

da gaben sich beide das Versprechen, daß nur der Tod sie trennen, und Elsbeth, ehe sie sich zu dem ihr aufgedrungenen Gemahle zurückschleppen ließe, sich mit dem Dolche, den sie bei sich trug, selbst den Tod geben wolle. Da stand plötzlich Graf Lodomar vor ihnen und sprach: „wer wagt es, sich an meinem Eigenthum zu vergreifen?“ Benno aber erwiderte hohnlachend: „so wenig dieses Land je das Eigenthum Deines Königs werden wird, ebensowenig wirst Du diese Jungfrau je Dein nennen!“ Mit diesen Worten drang er wüthend auf den Böhmen ein, der nothgedrungen sein Schwert zog, aber nach kurzer Vertheidigung tödtlich verwundet zu Boden sank. Da rief die Jungfrau: „Heil Dir, Du hast keinen Mord begangen, sondern nur Dein Vaterland von einem fremden Wütherich befreit, laß uns aber jetzt eilen, die Reise in ein Land anzutreten, wo uns keine Verfolgung mehr drohen kann, von Deiner Hand, mein Benno, will ich sterben.“ Mit diesen Worten reichte Elsbeth dem Ritter den scharfen Dolch, er setzte die Spitze desselben auf die Brust des geliebten Mädchens; doch seine Hand zitterte, da erfaßte die schöne Schwärmerin mit beiden Händen krampfhaft Benno’s Hand und stieß sich den Dolch tief in ihre reine Brust. Sie schwankte, doch hatte sie noch soviel Kraft, den Stahl aus der blutenden Wunde zu ziehen, und matt lächelnd reichte sie denselben ihrem Benno mit den Worten: „es hat nicht geschmerzt, hier, mein Geliebter, nimm ihn und folge mir.“ Ungestüm durchbohrte sich nun auch Benno und sank sterbend auf sie hin, und so hauchten sie Arm in Arm ihr Leben aus. Auf dieser Stelle nun, wo sie geendet hatten, wurden sie auf Befehl Clohmens, der jetzt seine Härte tief bereuete, beerdigt, der Leichnam Lodomars auf seine Güter nach Böhmen geführt, und von dieser Stunde an die Felsenschlucht, wo sich diese traurige Begebenheit ereignet hatte, der Mordgrund genannt. In jener alten Schrift war die Stelle, wo der Mord geschehen war, so genau angegeben, daß derjenige, welcher diese Sage abgeschrieben hatte, dieselbe leicht wiederfand, und für die Nachwelt sie durch

Empfohlene Zitierweise:
Johann Georg Theodor Grässe: Der Sagenschatz des Königreichs Sachsen. Band 1. Schönfeld, Dresden 1874, Seite 143. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Graesse_Sagenschatz_Sachsens_I_143.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)