Seite:Graesse Sagenschatz Sachsens I 186.jpg

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entdecken. Da hat er ihr die erdichtete Märe vom Tode ihres geliebten Gatten in ferner Schlacht zugehen lassen und nach einiger Zeit seine schändlichen Anträge erneuert, ist aber abermals zurückgewiesen worden und es hat ihm die fromme Burgfrau für immer den Besuch von Helfenstein untersagt. Unter schweren Drohungen ist er davon geritten, allein nicht lange hat es gedauert, da hat er eine furchtbare Gewitternacht benutzt, ist mit seinen Raubgesellen unbemerkt gen Helfenstein gezogen und hat die Burg erstiegen und, nachdem die wenigen Getreuen, die sich zur Wehre gesetzt, gefallen waren, seine Schwägerin trotz ihres Sträubens ergriffen, sie mit auf’s Roß genommen und ist eilig davon gejagt; diese aber, weil sie keine Hilfe und Rettung mehr gehofft, hat die Gelegenheit ersehen und ist in der Nähe eines bei Helfenstein gelegenen Brunnens vom Rosse heruntergeglitten und eilig entflohen, wie sie sich aber umgeschaut und jenen ihr schon so nahe gesehen, daß kein Entkommen mehr möglich gewesen, hat sie ihre Seele dem Herrn empfohlen und sich in den Brunnen gestürzt. Der böse Schwager aber, wüthend, daß sein Bubenstück mißlungen, und den Zorn seines Bruders fürchtend, ist umgekehrt und hat das Schloß von seinen Raubgesellen in Brand stecken lassen, dann aber ist er, wie von den Furien der Rache gejagt, davongeritten. Weit leuchtete aber die Brandfackel in die umliegenden Thäler hinein und auch ein Trupp Reisige, der seines Weges zog, gewahrte sie, das waren der Herr von Helfenstein und seine Mannen, die heim aus fernen Kämpfen zogen. Sie jagten wohl, was die Pferde laufen mochten, allein sie kamen doch erst an den Thoren an, als Alles zerstört und bis auf wenige Mauern niedergebrannt war, und ein alter verwundet zurückgebliebener Knappe berichtete seinem Herrn die schreckliche Kunde. Da hat dieser sein Schwert und Schild abgelegt und ist in ein Kloster gegangen, für die Seele seiner treuen Gattin zu beten, sein schändlicher Bruder aber hat nirgends im Lande Schutz finden können, sondern die Strafe hat ihn bald ereilt

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Johann Georg Theodor Grässe: Der Sagenschatz des Königreichs Sachsen. Band 1. Schönfeld, Dresden 1874, Seite 186. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Graesse_Sagenschatz_Sachsens_I_186.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)