Seite:Graesse Sagenschatz Sachsens I 342.jpg

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Reihen ein Zwergvolk hereinkommt. Die kleinen Leute sind prächtig gekleidet und haben offenbar einen Hochzeitszug vor. An der Spitze der Paare zieht ein Musikchor, dessen Mitglieder wie die ganze Gesellschaft kaum zwei Spannen hoch sind, dann folgen Bräutigam und Braut und deren Eltern und so fort die Hochzeitsgäste immer in bunter Reihe. Sie schreiten bis zu dem ungeheuren Ofen, der den dritten Theil des Zimmers einnimmt, und begeben sich in den Raum, der zwischen den sechs Füßen desselben gewissermaßen eine Art Halle bildet. Hier stellen sie sich paarweise auf und tanzen nach den lieblichen, obgleich leise tönenden Weisen der kleinen Musiker Tänze, deren Reigen und Touren irdischen Augen bisher unbekannt geblieben waren. Nachdem sie nun endlich genug der Freude gehuldigt, schicken sie sich zum Abzug an und verlassen diese sonderbare Tanzhalle wieder ganz auf dieselbe Weise. Wie sie nun an dem hohen Himmelbette der ganz in tiefes Erstaunen versenkten Schloßherrin vorüberziehen, da bleibt auf einmal der kleine Bräutigam stehen, verbeugt sich tief und sagt ihr, er danke ihr im Namen seiner Brüder für die Heimath und den ruhigen Aufenthalt, den sein Volk bisher auf ihrem Schlosse genossen habe, sie hätten, weil es ihnen unter der Erde zu finster gewesen, einmal bei lichtem Sonnenschein ihr Vermählungsfest feiern wollen und zum Danke für die genossene Gastfreundschaft wolle er ihr hiermit drei goldene Brodchen überreicht haben. Diese solle sie wohl aufheben, denn so lange wie diese Brodchen noch im Besitze ihrer Familie[1] sein würden, werde dieselbe grünen und blühen und immer an Reichthum und Glück zunehmen. Damit zog die Zwerghochzeit ab. Die Schloßherrin verfiel vor Schreck in einen tiefen Schlaf, als sie aber erwachte, da lagen die Brodchen auf der Bettdecke und sie sah, daß sie


  1. Nach einer andern Version der Sage hätte der Zwergkönig je eines dieser Brode für ihre drei Söhne bestimmt und gesagt, dieselben würden drei Schlösser erwerben. So wäre also blos ein Brod nach Pomsen gekommen. Eins dieser Schlösser soll vom Feuer, das andere vom Wasser zerstört worden sein, das dritte aber noch bei der Familie sein.
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Johann Georg Theodor Grässe: Der Sagenschatz des Königreichs Sachsen. Band 1. Schönfeld, Dresden 1874, Seite 342. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Graesse_Sagenschatz_Sachsens_I_342.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)