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daß sie nicht, vordringend, diesen grünen Sommer in ihre weißen Arme schließen durften.

„Hier bleib’ ich,“ sagte Gretter, froh sich umschauend, und suchte Material zusammen, zum Bau einer Hütte Steine, Erde und Strauchwerk.

Es wurde kein Palast, was er da baute, aber es wurde ein Notdach, und Gretter war nicht verwöhnt. Er hing seine Waffen an die Wand, und stellte den mitgebrachten kupfernen Kessel in der Mitte seiner Hütte auf einen niedrigen Heerd. Das Feuerzeug aber, nachdem es ihm die Flamme entzündet hatte, barg er wie einen großen Schatz.

Im Thale weideten viele Schafe, welche auffallend groß und fett waren, aber man sah keinen Hirten. Jeden Abend indessen, wenn die Dämmerung eintrat, hörte man vom oberen Ende des Thales herab das Rufen einer groben Stimme. Diesem Rufe folgte dann pünktlich die ganze Heerde.

Gretter nahm sich seinen Lebensbedarf aus der Heerde, und niemand sagte ihm etwas. Er fand, daß einer von diesen Hammeln mehr Fleisch hergab, als anderswo zwei.

Unter den Tieren war auch ein gesprenkeltes Melkschaf mit seinem Lamme, welches er wegen seiner Größe bewunderte. Er griff eines Tages das Lamm und schlachtete es. Es gab 40 Pfund Talg her, und sein Fleisch war vorzüglich. Als die Mutter ihr Lamm verloren hatte, folgte sie Abends nicht mehr der Heerde, wenn der Ruf des Hirten sie nach oben lockte, sondern stellte sich vor Gretters Hütte auf, und wich nicht, und blökte unablässig die ganze Nacht hindurch, ihrem verlorenen Kinde nachrufend, sodaß Gretter kein Auge schließen konnte. Er bedauerte nun aufrichtig, dieses Lamm geschlachtet zu haben.

Seine Ernährung hier, die nur aus Hammelfleisch und Milch bestand, war eintönig genug, und setzte ihn besonders in Verlegenheit, wenn Fasttage kamen, welche zu halten, die christliche Kirche gebot. Dann half er sich auf diese Weise, daß er das feste Fleisch mied, und nur die Leber aß an Stelle von Fischen und Pflanzenkost, die hier nicht aufzutreiben waren.

Als er längere Zeit hier gewohnt hatte, bekam er Lust, den Hirten, dessen Stimme er jeden Abend vom oberen Thale herab rufen hörte, nun auch zu sehen.

Eines Abends, als der Vollmond das Thal beschien, folgte er der Heerde, welche in Sprüngen dem oberen Thale zulief.

Empfohlene Zitierweise:
Emil Dagobert Schoenfeld: Gretter der Starke. Schuster & Loeffler, Berlin 1896, Seite 170. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Gretter_der_Starke.pdf/188&oldid=- (Version vom 1.8.2018)