Seite:Grimms Märchen Anmerkungen (Bolte Polivka) I 022.jpg

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4. Von einem der auszog, das Fürchten zu lernen. 1856 S. 9.

1819 in der 2. Auflage Nr. 4; zuvor in der Zeitschrift Wünschelruthe (Göttingen 1818) S. 13–16: ‘aus mündlicher Überlieferung mitgeteilt von Wilhelm Grimm’.[1] Zu Grunde liegt eine mecklenburgische Erzählung, aus einer hessischen in der Schwalmgegend (vom Siebert) ist das Kegelspiel mit den Totengebeinen eingerückt.

Diese hessische Erzählung Gut Kegel- und Kartenspiel war 1812 in der 1. Auflage S. 14 als nr. 4 gedruckt und lautet:

Es war einmal ein alter König, der hatte eine Tochter, die war die schönste Jungfrau auf der Welt. Da ließ er bekannt machen: ‘Wer drei Nächte in meinem alten Schloß wacht, soll die Prinzessin zur Gemahlin haben’. Nun war ein junger Bursch, arm von Haus aus, der gedacht Ich will mein Lehen daran wagen; nichts zu verlieren, viel zu gewinnen, was ist da lang zu besinnen! Also stellt er sich vor den König und bot sich an, drei Nächte in dem Schloß zu wachen, ‘Du darfst dir noch etwas ausbitten, das du mitnimmst in das Schloß, aber von leblosen Dingen’, sagte der König. – ‘So bitt’ ich mir eine Schnitzbank mit dem Schnitzmesser aus, eine Drehbank und ein Feuer’. – Das wird ihm alles in das alte Schloß getragen; darauf, wie es anfängt dunkel zu werden, geht er selbst hinein. Anfangs ist alles still darin; er macht sich sein Feuer an, stellt die Schnitzbank mit dem Messer daneben und setzt sich auf die Drehbank. Wie es aber gegen Mitternacht geht, fängt ein Gerümpel an, erst sachte, dann stärker, bif! baf! hebe! holla ho! immer ärger; dann ists ein klein bischen still, kommt ein Bein den Schornstein herunter und stellt sich gerade vor ihn hin. ‘Heda’, ruft der Bursch, ‘noch mehr, eins ists zu wenig’. Da geht der Lärm von frischem an, fällt noch ein Bein herunter und noch eins und so fort, bis es neun sind. ‘Nun ists genug, und die sind gut zum Kegelspiel; aber die Kugeln fehlen noch, frisch!’ Da tobts entsetzlich,[2] und fallen zwei Köpfe herunter. Die setzt er in die Drehbank und dreht sie rund: ‘Daß ihr gut schüppelt!’ Dann macht er die Beine gleich und stellt sie


  1. Goethe hat sich sinnvoll über dieses Märchen geäußert (Werke 46, 274. Stuttg. 1833 = Weimarer Ausg. 42 2, 89). Illustriert von Pocci (München 1839).
  2. Hsl. Zusatz von W. Grimm: als wollt das ganze Schloß zusammenstürzen, und fallen zuletzt.
Empfohlene Zitierweise:
Johannes Bolte, Jiří Polívka: Anmerkungen zu den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm I. Dieterich’sche Verlagsbuchhandlung, Leipzig 1913, Seite 22. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Grimms_M%C3%A4rchen_Anmerkungen_(Bolte_Polivka)_I_022.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)