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anzuschließen, geradezu gebieterisch die Form „weder – weder“ forderte.

Aber auch noch andere Gründe trieben den Meister zu dieser reizvoll-aparten Formgebung. Vor allem zweitens: die Notwendigkeit des korrekten und gefälligen rhythmischen Versflusses. Man höre nur, wie der fragliche Vers grammatikalisch korrekt sich anhören würde:

„Bin weder Fräulein noch schön“ – –

Hätte das nicht entsetzlich abgehackt geklungen? Und anderseits war es für den Genius völlig ausgeschlossen, Gretchen auf die Frage Faustens mit einem Satze antworten zu lassen, der auf ihrer Seite irgendeine geistige Selbständigkeit verraten hätte, indem er sie zur Versfüllung noch irgendwelche anderen Ausdrücke hätte gebrauchen lassen als jene, die ihr Faust ohnehin in den Mund legt. Das hätte einen schreienden Widerspruch bedeutet gegen die süße Unberührtheit und Einfalt des holden Bürgerkindes! Es gab also auch in rhythmischer und psychologischer Hinsicht nur die eine Möglichkeit „weder – weder“.

Drittens aber, meine sehr verehrten Damen und Herrn, war diese Form auch eine schlichte Notwendigkeit im charakteristischen Sinne der momentanen dramatischen Situation. Der E-Laut hat in unserer geliebten deutschen Sprache etwas Ablehnendes und Feindseliges an sich, wie schon die Worte „Ekel“, „Weh“ und „Pest“ deutlichst bezeugen. Die dramatische Stimmung der so liebenswerten vorläufigen Sprödigkeit Gretchens konnte daher gar nicht entsprechender herbeigeführt werden als wieder durch die Form „weder – weder“, die den fast gehässig ablehnenden E-Laut viermal nachdrücklichst wiederholt. Ich kann mir hier

Empfohlene Zitierweise:
Hanns von Gumppenberg: Das teutsche Dichterroß. Callwey Verlag, München 1929, Seite 150. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Gumppenberg_Dichterross_0150.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)