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Individualitäten) gemeinschaftlich sind. Die nach dieser unklaren Scheidung verbleibenden Angelegenheiten werden für die nichtungarischen Länder zwischen dem engeren Reichsrat und den Königreichen und Ländern aufgeteilt. Im Oktoberdiplom erfolgt die Aufteilung durch die gleichfalls unbestimmte Formel, dass der Gesamtvertretung der nichtungarischen Länder die bisher für sie einheitlich behandelten Angelegenheiten vorbehalten bleiben und die Erweiterung dieser Zuständigkeit durch kaiserliche Verfügung erfolgen sollte. Das Februarpatent fordert umgekehrt für die Zuständigkeit der Landtage ausdrückliche Zuweisung durch Gesetz und bietet sie in den 15 nach einer Schablonen ausgefertigten Landesordnungen, die zugleich mit dem Februarpatent und dem durch das Patent eingeleiteten Grundgesetz über die Reichsvertretung verlautbart wurden.

Die Beschickung der Landtage hatte sich auf Grund der gleichfalls mit dem Patent verlautbarten Landtagswahlordnungen zu vollziehen, die nach dem Vorbilde der Landtagswahlordnungen der Jahre 1849/50 auf dem Grundsatze der Interessenvertretung oder dem Kuriensystem beruhten, die Wähler zumeist nach den Gruppen des Grossgrundbesitzes, der Städte und Märkte und der Landgemeinden zur Wahl beriefen und den Deutschen Österreichs eine ega monische Stellung sicherten. Oktoberdiplom und Februarpatent wissen nichts von einer verantwortlichen Regierung, von Immunität, von staatsbürgerlichen Rechten.

Dem 1860 wieder hergestellten ungarischen Reichstag oder Landtag werden die beiden Verfassungsurkunden des Oktoberdiploms und des Februarpatents trotz ihres grundverschiedenen Inhalts als Massstab für die von ihm zu vollziehende Revision der 1848er Verfassung und als unerlässliche Form der Sicherung der Zwecke der pragmatischen Sanktion mit den Mitteln des konstitutionellen Staatsrecht vorgelegt. Die Möglichkeit einer solchen Revisionsforderung des Königs ist im ungarischen Krönungseid vorgesehen.

Der nach ständischem Recht übliche Schriftenwechsel zwischen dem den weiteren Reichsrat nicht beschickenden ungarischen Landtag und dem König begann im Jahre 1861. Um jede Störung der Verhandlungen durch Kundgebungen der Repräsentanten der nichtungarischen Länder hintanzuhalten, wurden mittels des vom Staatsminister Belcredi gegengezeichneten und durch ein Manifest erläuterten kaiserlichen Patents vom 20. September 1865 (Sistierungspatent) zugleich die Funktionen des weiteren und des engeren Reichsrates sistiert. Nach dem unglücklichen Feldzuge gegen Preussen im Jahre 1866 wurden die durch ihn unterbrochenen Verhandlungen wieder aufgenommen und fanden ihren Abschluss durch den am 12. Juni 1867 sanktionierten ungarischen Gesetzartikel XII. einer in aller Eile in Paragraphe zerlegten Staatsschrift der Führer der Majorität des ungarischen Landtags, zu der eine vor der Sanktion befragte Repräsentation der österreichischen Länder nie zugestimmt hätte.

Der G.A. XII hat für die konstitutionelle Organisation der nicht ungarischen oder wie sie von nun an hiessen , der im Reichsrat vertretenen Königreiche und Länder eine unüberschreitbare Schranke gezogen, die von dem durch die kaiserliche Botschaft vom 4. Februar 1867 also aus kaiserlicher Machtvollkommenheit zum verfassungsmässigen Reichsrat der Reichsratsländer erhobenen engeren Reichsrat in dem von ihm beschlossenen Gesetz vom 21. Dezember 1867 betreffend die allen Ländern der österreichischen Monarchie gemeinsamen Angelegenheiten und die Art ihrer Behandlung ängstlich eingehalten wurde. In den beiden konstituierenden Akten sind die bedeutsamsten organisatorischen Ideen der Märzverfassung, nämlich: die Einrichtung eines die Repräsentantion beider Ländergruppen umfassenden einheitlichen repräsentativen Kollegiums oder eines Zentralparlaments, eines staatseinheitlichen Finanzrechts und Rekrutenbewilligungsrechts, eines einheitlichen Wirtschaftsgebietes fallen gelassen worden. Die gemeinsamen Angelegenheiten sind auf den Heeresbefehl und die Heeresorganisation, auf die äussere Verwaltung, auf die Verwaltung des gemeinsamen Finanzvermögens, auf den wohl unpraktischen Fall der Verwaltung eines gemeinsamen Anlehens und auf die Geltendmachung der Verantwortlichkeit der gemeinsamen Minister beschränkt. Die Parlamente der beiden Ländergruppen vereinbaren unter Vermittlung ihrer Regierungen den Schlüssel für die Verteilung der gemeinsamen Lasten (die Quote), ferner die Regelung der finanzwirtschaftlichen und handelspolitischen Beziehungen

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Diverse: Handbuch der Politik – Band 1. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 412. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_1.pdf/432&oldid=- (Version vom 22.8.2021)