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heraus der Löwenanteil bei Aufbringung der Reichseinnahmen immer noch den Zöllen und Verbrauchssteuern verbleiben muss, so wird hier im Laufe der Zeit mindestens ein Austausch sozialpolitisch anstössigerer gegen sozialpolitisch minder anstössige indirekte Steuern, bezw. Zölle erfolgen. Vor allem dürfte der Getreidezoll mit seinen bald 300 Millionen Ertrag in dem bisherigen Umfang früher oder später gefährdet sein. Wie Ersatz dafür zu schaffen, ist, zumal bei besonders starker Besetzung der äussersten Linken im Reichstag, gleichfalls eine Frage, die, wenn auch rein finanzpolitisch besehen, nicht allzu schwer zu lösen, doch vermöge der Direktiven und Nötigungen, die ein Volksparlament der gedachten Art in sich schliesst, wieder eines der schwierigsten Probleme darstellt, dessen Lösung sich ohne Krisen sicher nicht vollziehen wird. An Finanzkämpfen wird es dem Reich sonach auch in Zukunft nicht fehlen, vermöge des Widerstreits der von den politischen Gewalten in Reich und Bundesstaaten gesuchten und der ihnen zugebilligten und aus steuertechnischen Gründen zuzubilligenden besonderen Steuergattungen, kürzer vermöge des Umstandes, dass das Reich stets nach direkten Steuern, die den Einzelstaaten im Interesse ihrer Erhaltung vorbehalten bleiben müssen, begehren wird unter Vernachlässigung der indirekten Steuern, die auch jetzt noch weitgehende Entwicklungsmöglichkeiten haben.[1]

III. Die Abgaben der Einzelstaaten.

1. Die Abgabenkategorien.

Das Abgabensystem der Einzelstaaten, längere Zeit in Umbildung begriffen, hat jetzt fast überall in Deutschland in den Grundzügen zweifellos auf sehr lange hinaus die endgültige Gestalt gewonnen. Den entscheidenden, wenn auch nicht den ersten Anstoss für diese Umbildung hat die aus wissenschaftlichen Ideen schöpfende Miquel’sche Steuerreform in Preussen gegeben, die, unter Verzicht auf die Ausnutzung der alten Ertragssteuern – Grund-, Gebäude-, Gewerbesteuer – für den Staat die Einkommensteuer, ergänzt durch eine Vermögenssteuer, zum Rückgrat des preussischen Steuersystems machte. In diese Richtung gingen und geht nun auch die Umbildung des Steuersystems der anderen Bundesstaaten, wenn auch nicht mit dem gleichen Radikalismus, insofern ausserhalb Preussens der Weg des völligen Verzichts des Staates auf die älteren Ertragssteuern – sicherlich mit Recht – nur vereinzelt beschritten worden ist.

Die Abgaben der Einzelstaaten gliedern sich offiziell in A) Allgemeine Einkommensteuern, B) anderweitige direkte Steuern, C) sogenannte Verkehrssteuern, D) die Erbschaftssteuer, E) Verbrauchssteuern. Die vier letzten Steuerkategorien treten aber der Einkommensteuer gegenüber immer mehr zurück. Nach den letzten Daten –zusammengestellt in den unterm 31. Mai 1913 vom Reichskanzler dem Reichstag vorgelegten „Materialien zur Begründung der Entwürfe von Gesetzen über einen einmaligen ausserordentlichen Wehrbeitrag und betreffend Aenderungen im Finanzwesen“ – waren – gemeinhin in 1912 – im Budget der Bundesstaaten am Gesamtaufbringen beteiligt

A) Allgemeine Einkommensteuer mit 547 Mill. M. = 54.9% der gesamt. Steuereinnahm.
B) Anderweitige direkte Steuern mit 210 Mill. M. = 21.1% der gesamt. Steuereinnahm.
C) Sogenannte Verkehrssteuern mit 106 Mill. M. = 10.7% der gesamt. Steuereinnahm.
D) Erbschaftssteuer mit 23 Mill. M. = 2.3% der gesamt. Steuereinnahm.
E) Verbrauchs- u. Aufwandsteuern mit 110 Mill. M. = 11.0% der gesamt. Steuereinnahm.

A) Allgemeine Einkommensteuer.

Die allgemeine Einkommensteuer spielt eine geradezu ausschlaggebende Rolle im Abgabenwesen Preussens und Sachsens. In Preussen bringt sie 71 v. H. aller Staatssteuereinnahmen, in Sachsen 74 v. H. Geringer sind ihre Erträge in Süddeutschland. In Bayern ist sie überhaupt erst jetzt, d. h. von 1912 an zur Einführung gelangt, in Württemberg und Baden, wo sie seit längerer


  1. Vgl. Strutz, Reichs- und Landessteuern (in den Finanzwirtschaftlichen Zeitfragen, herausgegeben von Georg v. Schanz und Jul. Wolf) 1913 S. 17 und 18 ff., sowie die vorhin genannte Schrift von Lissner in der gleichen Sammlung.
Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 2. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 95. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_2.pdf/111&oldid=- (Version vom 11.9.2021)