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Diverse: Handbuch der Politik – Band 3

wird das Interesse der westkanadischen Bevölkerung an den Vereinigten Staaten immer grösser und an England und den Reichsangelegenheiten immer geringer.

In der äusseren Politik sucht Präsident Wilson ganz logisch den in den letzten zwei Jahrzehnten vernachlässigten Grundsatz wieder zur Geltung zu bringen, dass die Monroelehre auch die Nichteinmischung Amerikas in die politischen Fragen anderer Staaten bedeute. Er gibt sich nicht mit dem Schiedsgerichtsgedanken ab, auf den sein Vorgänger so grosse Hoffnungen setzte, denn er will sein Land von den europäischen Gegensätzen ganz fernhalten; die alte Welt geht nach ihm die Vereinigten Staaten einfach nichts an. Ebenso soll ihre Politik in Mittel- und Südamerika nichts zu suchen haben, wobei er sich aber doch vorbehalten hat, die Beziehungen zu Mittel- und Südamerika weiter zu entwickeln. So sollen sich die Vereinigten Staaten aus der Weltpolitik, in die sie vor 15 Jahren so entschieden eintraten, wieder herausziehen, wie der Präsident sinngemäss auch in striktem Gegensatz z. B. gegen Roosevelt eine starke Flotte nicht für notwendig erklärte. Die Zukunft wird lehren, was diese Neuorientierung der grossen Politik der Vereinigten Staaten bedeuten wird. Das wird man freilich schon von vornherein sagen können, dass bei dem engen Zusammenhang von politischen und wirtschaftlichen Interessen eine solche Abstinenz gar nicht mehr möglich ist und dass für ein Welthandelsvolk die Weltpolitik mit allen ihren Konsequenzen Naturnotwendigkeit ist und bleibt. So wird sich nach menschlichem Ermessen die Haltung der Vereinigten Staaten in der grossen Politik wesentlich von der bisherigen nicht unterscheiden.

V. Imperialismus und innere Politik.

Die Wandlung, die der Umschwung der auswärtigen Politik in den letzten 20 Jahren für den ganzen Geist des amerikanischen Volkes mit sich gebracht hat, ist schon früh beobachtet worden. Man hat schnell eingesehen, dass ein Imperialismus, wie er von den tatkräftigen Republikanern verfochten wurde, auf die Dauer nicht mit einer Demokratie zu vereinigen ist, auf die man seit Menschenaltern im Gegensatz zu Europa so stolz war. Man spürt es mehr und mehr, dass in diesen Bestrebungen und Kämpfen der Einfluss der gesetzgebenden Körper zurücktreten und der Einfluss der Exekutive, des Präsidenten stärker werden muss, und man empfindet das dann im Volk um so mehr, wenn doch das ganze System der Wahl des Präsidenten usw., die Besetzung dieser wichtigen Stelle abhängig ist und bleibt von den Unsicherheiten einer Wahlbewegung oder noch mehr von den Drahtziehern, die für ihre kapitalistischen Interessen im Präsidenten ein gefügiges Werkzeug suchen. Dagegen hat ja von Anbeginn dieser Politik an die demokratische Partei ihren Hauptwiderstand gerichtet. Während der Imperialismus als Programm der auswärtigen Politik die Stellung des Präsidenten erhöht, streben die Demokraten mit der Ablehnung jener auswärtigen Politik danach, die demokratischen Forderungen noch zu überbieten, mit dem Wunsche einer direkten Wahl des Senates durch das Volk oder durch Beseitigung der Bedeutung, die der höchste Gerichtshof (High Supreme Court) für das Verfassungsleben hat. Dazu ist natürlich der demokratischen Richtung auch ein Dorn im Auge, dass eine solche auswärtige Politik kriegerische Abenteuer möglich macht, und dass sie militärische und noch mehr maritime Rüstungen fordert, die Opfer kosten und abermals den Einfluss der Exekutive stärken. Auf die Dauer wird solche Opposition nicht möglich sein. Denn dieser Imperialismus erfliesst aus den Lebensnotwendigkeiten des amerikanischen Staatswesens überhaupt. Freilich wird das darin ruhende Verfassungsproblem noch sehr in seiner Bedeutung dadurch gesteigert, dass der Gegensatz von Kapital und Arbeit immer klaffender werden muss. Die Zeiten, in denen jedermann Arbeit fand und frohgemut die märchenhafte Erschliessung des Landes fortgesetzt wurde, sind vorbei; in grossen Organisationen stehen sich Kapital und Arbeit gegenüber und suchen auch auf die Führung der auswärtigen Geschäfte einzuwirken.

Sodann wird die auswärtige Politik dadurch berührt, dass die Frage noch nicht endgültig entschieden ist, welcher Rasse das Gebiet der Union dauernd gehören wird. Angelsächsische, deutsche und skandinavische Elemente haben die Kolonisation durchgeführt und den Staatsbau gefestigt, aber das eigentlich angelsächsische Element zeigt auch hier, wie in den englischen Kolonien sonst, dass ihm auf kolonialem Boden die Unfruchtbarkeit droht. Die Einwanderung des deutschen Elements ist ausserordentlich zurückgegangen, seitdem Deutschland selbst seine

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Diverse: Handbuch der Politik – Band 3. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 359. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_3.pdf/375&oldid=- (Version vom 20.12.2021)