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vor sich ging – darüber fehlen entscheidende Zeugnisse; sicher ist, daß mit der Besiedlung das Geschick der Masse der sorbischen Bevölkerung sich auf lange Zeit hinaus entschied. Aus der Seßhaftigkeit ergaben sich Eigentümlichkeiten der Sitte und Lebensführung, welche von tiefstem Einfluß auf die Entwicklung aller Verhältnisse waren. In der geschichtlichen Zeit gab es eine beherrschte Schicht, die zäh im Boden wurzelte und eine herrschende, die in freierer Lage eine bevorrechtete Stellung einnahm. Engumfriedet verlief das Leben der Masse, vor allem das Leben der Frauen. Aus der Seßhaftigkeit wurde für sie ein Heimzwang. Die Sagen und Überlieferungen, welche aus der sorbischen Zeit noch hier und da nachklingen, erzählen von den Gefahren, die in Busch und Feld, in Zwielicht und Dunkel außerhalb der Siedlung lauern. Zur heißen Mittagszeit wanderte das Feldgespenst der Mittagsfrau[1] durch die Äcker, um die, welche allein noch bei der Arbeit waren, zu schrecken und die Verstummenden zu erwürgen.

Und schwer und drückend lastete vielleicht schon während der Siedlungszeit äußere Not auf dem sorbischen Volke. Eine furchtbare Heimsuchung, die Niederwerfung durch die Avaren, war über die Sorben gekommen. Wenn es Züge freiheitlichen Gemeindelebens bei den Sorben gegeben hat, so haben sie sich vielleicht unter dem Druck und der Bedrohung durch die asiatischen Schwärme gewandelt.

Die Avaren erschienen zuerst im 6. Jahrhundert an den Grenzen von Thüringen, in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts beherrschten sie Böhmen, und die Geschichtsschreiber Fredegar und Nestor wissen von ihrer Herrschaft über die Czechen das Schlimmste zu erzählen. Mag manches von der Geschichtsschreibung jener Zeit aus übertreibenden Gerüchten stammen, an einer drückenden Herrschaft der Avaren über die Slawen ist nicht zu zweifeln. 623 gelang es den Czechen unter Samo das avarische Joch abzuschütteln, und auch die nördlichen Sorben gewannen unter einem Fürsten Derwan die Freiheit; tief aber mochten sich Züge der avarischen Herrschaft in das Volk eingeprägt haben, und lange noch wirkte diese Zeit nach. Einen Beweis für die avarische Knechtung der


  1. Die Pschipolnitza der heutigen Wenden (Haupt, Sagenbuch I; Meiche, Sagenbuch des Kgr. Sachsen, S. 353).