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kleinen Reissiger schon hier den Lebensweg bahnen helfen. Wir werden sehen, daß ihm noch mancher Vorteil aus ihr erwuchs. Erwähnt sei, daß auch in diesem Jahre, wie schon seit Bachs Zeiten fast regelmäßig, ein Einvernehmen zwischen Kantor und Rektor bei der Aufnahme neuer Alumnen nicht bestand. Dem Kantor kam es besonders auf gute Stimmen an, und er achtete daher weniger der Einwendungen, die der Rektor etwa in wissenschaftlicher Beziehung machte. Rektor Rost sah sich „genötigt, beim Consistorio klagbar zu werden und zu bitten, über die Verhältnisse in welchen Rektor und Kantor der Schule zueinander stehen, definitiv zu entscheiden, damit die Quellen der unseligen Streitigkeiten zwischen diesen Männern endlich einmal kräftig verstopft werden“[1]. Mit Reissiger konnte Rektor Rost aber auch in wissenschaftlicher Beziehung zufrieden sein. Schon nach einem halben Jahre bekam er eine Prämie als fleißiger Schüler. Während der ferneren Schulzeit in der Thomana (bis 1. April 1818) erhielt er noch vier Prämien, und es heißt, daß er wegen seines Fleißes ein Liebling der Lehrer war. Besonders in den alten Sprachen soll er sich ausgezeichnet haben. Für seine innere musikalische Bildung konnte es nichts Geeigneteres geben, als als Mitglied im altberühmten Thomanerchore zu wirken. Hier konnte er in den Sonnabendmotetten und Sonntagskirchenmusiken die besten Kompositionen (Oratorien, Psalmen, Hymnen, Messenteile) eingehend kennen lernen. Bach hatte daselbst immer seine Pflege gefunden[2]. Haydn, Mozart, welcher seit 1800 populärer geworden, und selbst Beethoven erklangen neben den Dresdnern Naumann und Schuster[3], deren einstiger Nachfolger Reissiger werden sollte. Hier im Thomanerchor besonders, wenn auch schon im Elternhause vorbereitet, wird der Keim zum Kirchenkomponisten, als welcher er später die besten seiner Werke schuf, gelegt worden sein. Leider mußte die äußere musikalische Weiterbildung, besonders im Klavierspiel, während der ersten Schuljahre etwas zurücktreten. Es stand ihm kein Instrument zur Verfügung, weil er zu arm war, um sich ein Klavier zu mieten, und der Flügel im Musiksaal der Schule nur von den älteren Alumnen benutzt werden durfte. Über das Leben im Alumnate zu schreiben, würde uns hier zu weit führen. Erwähnt sei nur, daß Reissiger 1811 bei seinem Eintritt noch die alte Tracht (Mantel, Dreimaster und Perücke) bekam. Aber glücklicherweise wurde sie schon 1812 abgeschafft. „In ihrer Freude“ über die Befreiung von der Perücke, heißt es in Stallbaums Biographie[4] „schleuderten die Alumnen die verhaßten Dinger auf den nach der Westseite zu gelegenen Zwinger“. Reissiger hatte das Glück gehabt, eine von den zwei sogenannten „Ratsdiskantistenstellen“ zu erhalten. Sie gewährten


  1. Akten im Thomasschularchiv (vergl. auch Anmerk. 4). Die Daten aus Rs. Zeit im Thomasgymnasium hatte bereits Thomaskantor Rust für Herrn Bürgermeister Reissiger in einem im Besitze des letzteren befindlichen Briefe zusammengestellt.
  2. Fink betont 1829 in der A. M. Z., daß Bach in Leipzig stets lebendig geblieben sei, entgegen den Berliner Überhebungen anläßlich der Wiedererweckung der Matthäuspassion durch Mendelssohn. Tatsächlich war der Motettenkomponist Bach ständig im Programm geblieben.
  3. Vgl. Fr. Schmidt, Das Musikleben der bürgerlichen Gesellschaft Leipzigs im Vormärz. Langensalza 1912. (Leipziger Dissertation.)
  4. Vgl. Brause, Stallbaum, ein Beitrag zur Geschichte der Thomasschule in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. (Programm der Thomasschule Leipzig 1897.)