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d. h. in Paris kürzlich gehabten Plan mitgeteilt hat, nämlich auf die Bühne zu gehen, nein, es ist mir im Gegenteil recht unlieb – weil es bloß eine vorüberfliegende Laune von mir war und Sie gewiß eine üble Meinung von mir bekommen, da Sie die Ansichten von Herrn Weiße gewiß nicht ganz teilen. Ohnedem, daß mir der Schritt, den ich tun wollte, nicht einträglich genug schien, war er auch zu riskant, vorzüglich auf einer italienischen Bühne, worin ein Fremder auch mit der größten Bekanntschaft der Sprache doch noch Klippen genug findet – dazu die Ansichten vieler Leute über diesen Schritt, besonders Ansichten meiner Eltern, die sich sehr gegrämt haben würden und die ich jetzt doppelt zart zu behandeln mich verpflichtet fühle, da sie von seiten meines älteren Bruders, der seit dem August in Brandenburg liegt, an Geisteszerrüttung leidet, sehr angegriffen sind – kurz, ich fand soviel dawider, daß ich mich entschloß, meine guten Aussichten in Berlin weiter zu verfolgen und mich kümmerlich, aber recht, ehrlich und fleißig weiter durchzuschlagen. Dieses wollte ich Ihnen nur noch mitteilen. Auch habe ich den Glauben, daß mir ja, wenn es mir später dennoch schlecht gehen sollte, meine Wünsche unbefriedigt blieben, dieser Weg immer noch offen bliebe, zu dem ich doch keinen rechten Trieb in mir fühlte.

Das einzige Gute, was mir bei meinem längeren Aufenthalte hier bleibt, sind die Bibliotheken und vorzüglich die des Konservatoriums, wo man schöne und seltene Werke findet. Alles andere habe ich nunmehr satt. Die Große Oper hat, seit ich hier bin, noch nichts produziert, woran wohl die Streitigkeiten in der Direktion Schuld haben mögen. Auch bei der italienischen ist Rossini zum Direktor ernannt. Die mittelmäßige Truppe hat auch noch nichts Neues geliefert. Bekanntschaften, die man immer kultivieren muß, wie einen Cherubini, der den ganzen Tag beschäftigt ist, und die ebenso wie die übrigen einmal einladen, wenn sie Zeit zur Gesellschaft haben, läßt man sich gefallen, allein alle diese Leute, wie es einem immer geht, sind größer in ihren Werken als in ihrem Leben. Die anderen Bekanntschaften rauben Zeit und Geld, und da ich davon wirklich keinen einzigen Nutzen sehe (ausgenommen den des Vergnügens und des fidelen Lebens, welches man gewiß so nicht wieder findet, mais cela m'est égal), der aus meinem längeren Herumlaufen und Sitzen in dem großen Paris ersprösse, so habe ich mich entschlossen, diesen teuren Ort bald zu verlassen, in welchem ich recht viel Gutes habe kennen lernen, in dem ich ebensoviel könnte profitieren, wenn ich noch einmal meine Carrière von vorn anfangen wollte, denn Reicha[1] ist hier einer der ersten Kontrapunktisten und vielleicht einer der ersten in Europa.“

In dem nächsten Briefe (vom 14. Januar 1825) schreibt Reissiger: „Meine Abreise von hier wird sich wohl bis zum 20. verzögern. Ich hoffe nur noch einen Brief vom Minister zu erhalten, allein es scheint, daß ich nicht darauf warten kann und lieber das Gewisse für das Ungewisse nehmen muß – d. h. Italien mit dem vorhandenen Gelde zu sehen, als hier länger mein Geld zusetzen und am Ende aller Enden wegen der gebetenen Zulage eine abschlägige Antwort zu erhalten – ohne Italien sehen zu können! – Wenn mein Trio bei Peters erschienen ist, so haben Sie die Güte, sich zwei Exemplare für mich zu erbitten und eins davon unfrankiert an Mr. Farrenc,


  1. 1770-1836 berühmter Theoretiker, Nachfolger Méhuls als Kompositionsprofessor am Pariser Konservatorium.