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Über seine Tageseinteilung lesen wir: „Von 7 Uhr an trifft man mich schon bei der Arbeit, entweder schreibe ich mir gute, alte Kompositionen ab, die für mich lehrreich sind, oder ich komponiere. Von 1 bis 3 Uhr spiele ich Pianoforte, sodann wird gespeist und nach 4 Uhr werden die Besuche gemacht. Eine sehr schöne Signora Giormetti spielt sehr gut Fortepiano. Zu ihr begab ich mich sehr oft. Da ich nun der beste der jetzt hier lebenden Fortepianospieler bin, so hat sie sich viele meiner Kompositionen zu eigen gemacht und sie mit Beifall in Gesellschaften vorgetragen. Man ist in Italien sehr freigebig mit dem Beifall und gibt ihn mit Furore – deshalb kann ich wohl sagen, daß ich als Fortepianospieler hier viel Furore gemacht habe. Um 7 Uhr geht man spazieren. Von 8 bis 10 wird wieder gearbeitet, sodann gespeist oder in Gesellschaft gegangen. Da meine Hausfamilie eine sehr liebenswürdige ist, so versammeln sich gewöhnlich in dieser Zeit die Hausbewohner bei ihr. Ich speise dann mit Thorwaldsen. Wolff, Senf und anderen Künstlern, die im Hause wohnen und speisen, und ich fühle mich in dieser Gesellschaft sehr glücklich – man erheitert sich zu Lust und Scherz und lernt dabei die leichten Wendungen im Gesprächsstil, da unsere Damen feine Römerinnen sind.

Der Adjutant des Prinzen Heinrich, Baron v. Löpel, wird mich Sr. Königlichen Hoheit vorstellen. Auch besitze ich die ganze Achtung des Grafen Ingelheim, der sehr musikalisch ist. Ich hoffe, daß er mir in Berlin nützlich sein wird, wohin er in den nächsten Monaten reist, da er mit dem Fürsten Wittgenstein und mit dem General Witzleben sehr gut bekannt ist.

Mit dem preußischen Geschäftsträger Bunsen bin ich genau bekannt worden[1]. Dieser Herr hat die alte Musik zu seinem Hauptzeitvertreib gemacht und vorzüglich die Kirchenmusik. Er hat alle alten Lieder hervorgesucht und einen Vers wie den anderen prosodisch zugestutzt, damit einer wie der andere nach dem Choralschema gesungen werden kann, so daß die langen Silben nur auf einen guten Zeitteil fallen. Alles das ist gut und löblich, aber nun hat er die Idee,daß alle Choräle rhythmisch bearbeitet werden können, und hat Baini bewogen, ihm solche Verse zu bearbeiten. Dieser aber, der die deutsche Sprache nicht kennt und ebensowenig unseren Chorgesang, kann gar nicht wissen, daß dieses in den meisten Chorälen, die wir zu singen gewohnt sind, gar nicht angeht. Jetzt hat er seine Augen auf mich geworfen und auch mir Versuche aufgetragen. Nach seiner Idee könnten die Psalmen auch sehr gut in unseren Kirchen eingeführt werden, etwa so, daß ein Vers vom Priester und der andere vom Volke abgesungen würde. Nun ist es aber freilich nicht schwer, solche Schemas zu machen, aber wie schwer würde die Einführung dieser Gesangsart sein – welche Änderungen müßten in den Schulen deshalb stattfinden, um die Jugend so weit zu bringen, die Psalmen so richtig zu deklamieren, daß ein ganzes Chor einen solchen


  1. Bunsen war das Haupt der kleinen ev. Gemeinde in Rom, die sich um die Gesandtschaftskapelle bildete. Sein Kreis unterhielt sich mit Begeisterung durch kirchengeschichtliche und liturgische Forschungen und war ein Hort des deutschen ev. Kirchenliedes im kath. Rom, ebenso aber auch altitalienischer geistlicher Musik. Die hymnologischen Studien Bunsens zeitigten u. a. den Versuch eines allgemeinen Gesang- und Gebetbuches (Hamburg 1833). Sowie: Allgemeines ev. Gesangbuch (Hamburg, Rauhes Haus 1846), woran R. beteiligt ist, denn ein zu R.s Lebzeiten noch erschienenes Verzeichnis seiner Werke (bei Balde in Cassel) nennt 300 Choräle, für Bunsen komponiert.