Seite:Heft26VereinGeschichteDresden1918.pdf/91

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.

Wesen, welches Wagner „in so hohem Grade zu Gebote stand[1]“, gewann ihm auch andere Freunde. Dem einflußreichen Kollegen Reissiger kam er anfangs mit Fleiß entgegen. So bot er ihm einen von ihm abgefaßten Operntext (Die hohe Braut, nach Königs Roman) an, den dieser aber ausschlug, künstlerisch jedenfalls zu seinem Nachteil; denn Reissiger hatte mit guten Texten nie Glück gehabt. Von Wagner, dem geborenen Dramatiker, hätte er sicher einen wirksamen Text erhalten. Natürlich schlug Reissiger den Text nicht, wie die Wagner-Biographie in höhnischer Weise mitteilt, auf Anraten seiner Frau ab, sondern es fehlte Reissiger – eine Tragik für ihn – tatsächlich der Blick für größere dramatische Wirkungen in einem Libretto. Er war geborener Lyriker mit einem nur geringeren dramatischen Einschlag.

In Wagners erster Dresdner Zeit konnte niemand, vielleicht er selbst nicht recht, den Kunstrevolutionär vermuten, der bald aus ihm hervorbrechen sollte. Der Wagner der vierziger Jahre, wie er in der Geschichte bekannt ist, der Schüler des Philosophen Feuerbach, begann sich alsbald zu regen. Er fühlte einen Drang nach vorwärts, sein Ziel kannte er selbst noch nicht. Es kam die Periode des „noch nicht bewußten künstlerischen Wollens“, wie sie Glasenapp nennt[2]. Eine Individualität erwachte, suchte aber erst eine Richtung. Die in der Literatur bekannte Bewegung des jungen Deutschland sollte eine parallele Erscheinung in der Musik finden. Wagner gerät dabei in ein unglaublich gesteigertes Selbstbewußtsein und in einen fortwährend gereizten Zustand gegenüber seiner Umwelt, so daß wohl kein zeitgenössischer deutscher Kapellmeister um seine Kollegenschaft zu beneiden war. Kurze, vorübergehende, ungünstige Erscheinungen im Theaterbetriebe, die bisher nicht vorgekommen, aber gerade jetzt auftreten, wie die durch Zwangsbeurlaubungen der großen Künstler (Schröder-Devrient, Tichatschek, Dettmer) entstehende Pause für größere Werke, welche diesmal nicht gelungen war, durch Verpflichtung von gleichwertigem Ersatz auszufüllen[3], dazu Reissigers Erkrankung lassen den Heißsporn gleich von verlotterten Zuständen reden, die er zu reformieren gehabt hätte. Ein Institut, das kurz vor Wagners Antritt die erste deutsche Stelle einnimmt, soll dann gleich verlottert sein? Wir merken schon, daß solche Urteile nur von einer äußerst subjektiv gerichteten Individualität stammen können. Eine starke Individualität, wie z. B. das Genie Wagner, begeht stets den Fehler des Fällens von absoluten Urteilen. Relativität ist ihm fremd, weil sie nur sich selbst als Ausgangspunkt anerkennt. Schlimm ist es aber, wenn das Genie dann in der Periode des „bewußten künstlerischen Wollens“ und in der Nähe des Sieges über die der vorhergehenden Gärungsperiode angehörende Mitwelt nicht klarer zu sehen vermag oder um seinetwillen nicht


  1. Pecht: Aus meiner Zeit. München 1894. II, 137
  2. Das Leben Richard Wagners, II Band.
  3. Wir wissen, daß R. stets mit Glück bemüht war, vollwertigen Ersatz für die betreffenden Zeiten zu beschaffen, was ihm das Lob der Presse bereits eingetragen hatte. Diesmal begann aber selbst Dresden einen bisher schon im übrigen Deutschland festgestellten Mangel an Sängern zu spüren, welcher in der A. M. Z. schon 1828 (S. 428) wegen des Fehlens von geeigneten Gesangskonservatorien angekündigt wurde. Ersatz war diesmal ein Sänger Moriani, welcher hauptsächlich nur die Donizettischen Opern beherrschte, so daß eine vorübergehende Einseitigkeit des Spielplanes eintrat.