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IV
Theuerste, geliebte Freundinn

Seit wie lange schon bin ich in Ihrer Schuld: wie viele und wie schöne Briefchen haben Sie mir geschrieben, und ich bin so lange mit meiner Antwort ausgeblieben; doch davon will ich abbrechen, um so gleich zu einem wichtigen Punkte zu kommen.

Unser Freund nehmlich, v(on) Bülow[1] hat mir jezt auf schöne und rührende Art sein Verhältniß zu seiner Frau, so wie zur Gräfinn Louise entdeckt. Die Eheleute sind schon seit Jahren in einem Verhältniß, welches man keine eigentliche Ehe nennen kann: die verständige Frau hat sich das selbst, so wie ihm offen gestanden: die Entfremdung hat durch die ungleichen Gesinnungen mit jedem Jahre zugenommen, ohne Feindschaft zu werden: – nun entwickelt sich ein inniges Verständniß mit Louise, die Frau weiß, billigt auch dies, – sie wünscht unter allen Bedingungen des Mannes Glück, sie liebt und achtet Louise, – und plözlich scheint wieder in dem heftigen edlen Gemüth der Frau ein Rückschlag erfolgt zu sein, welcher in dunkler Leidenschaftlichkeit droht, alle drei Menschen, die so gut, so lieb sind, und die Glück des Lebens verdienen, vielleicht auf lange, ja auf alle Zeit höchst unglücklich zu machen.

Eine so klare, kluge Frau, wie Sie, zu der alle drei liebe Menschen das höchste Vertrauen haben, kann in diesem traurigen Verhältniß gewiß Vieles gut und licht machen, und so die so naheliegende, gelinde Auflösung herbeiführen.

Ein fester, klarer Entschluß, eine rasche That ist in einer solchen Lage das beste, ja das einzige Mittel. Die wackre Frau muß doch einsehn, daß nach so vielen Jahren des Mißverstandes, der Entfremdung unmöglich durch einen willkührlichen Schlag, durch mehr als ein Wunder die Erste Liebe (wenn sie jemals da war) wieder herbeigeführt werden könne. Billigt sie nun nicht, wozu sie schon edel und weise ihre Einwilligung gegeben hatte, so wird diese ihre willkührliche plözliche Leidenschaft immer dunkler, und dadurch heftiger, zerrissener; sie macht sich nicht allein selbst höchst unglücklich, sondern auch jene beiden Menschen, welche sie wahrhaft liebt: diese, welche glücklich werden könnten durch ihre weise Billigung, müssen sich natürlich ihr immer mehr entziehn, man steht sich von allen Seiten sehr bald entschieden feindlich gegenüber, oder verzehrt sich in Schwermuth, Wehmuth und Lebens-Ueberdruß. Dagegen, vereinigt sich der Freund offen und bald mit der Geliebten, so kann ihre Zuneigung zu den beiden Wesen die wahrste, herzlichste Freundschaft und Liebe werden, alle drei gewinnen unendlich durch diese edle und großmüthige Lösung, die brave verständige Frau ist ein unentbehrliches Glied in dieser schönen Verbindung, unserm theuren Freunde erwächst höchsſt glücklich eine neue, wahre poetische Jugend, die er vielleicht nicht gehabt hat, alle seine


  1. Eduard von Bülows Ehe mit Franziska Elisabeth Stoll von Berneck, die er um ihrer geistigen Regsamkeit und vielseitigen Bildung willen 1828 geheiratet hatte, ging nach Jahren des Glückes ihrer Auflösung entgegen. Bülows unsichere, äußerlich wenig aussichtsvolle Lebensstellung bekümmerte mit der Zeit die im Hause ihres Schwagers, des Leipziger Stadthauptmannes Frege, in glänzenden Verhältnissen aufgewachsene Frau; sie wiederum wurde dem Gatten durch zunehmende Reizbarkeit und Heftigkeit zur Pein. Immer mehr fühlte Bülow sich zu der mit seiner Frau befreundeten Gräfin Louise von Bülow, Tochter des preußischen Feldmarschalls Grafen Bülow von Dennewitz, hingezogen. Die geeignetste Persönlichkeit, unter diesen schwierigen Umständen zu vermitteln und eine alle Beteiligten befriedigende Lösung anzubahnen, schien Tieck Frau von Lüttichau, seine feinfühlige, edeldenkende, beiden Ehegatten gleich nahe stehende Freundin zu sein. Doch brachten die nächsten Jahre, in denen Bülow mit den Seinen in Stuttgart lebte, wie Tiecks sechster Brief und Frau von Lüttichaus Antwort darauf erkennen lassen, zunächst keine Änderung der bestehenden Verhältnisse. Erst 1849 willigte Franziska in die Scheidung, und am 5. November dieses Jahres heiratete Bülow die Gräfin Louise. Beide lebten fortan glücklich auf Schloß Oetlishausen im schweizerischen Thurgau und hatten die Freude, hier bisweilen Franziska und ihre beiden Kinder, den später so berühmt gewordenen Pianisten und Kapellmeister Hans und seine Schwester Isa, bei sich zu sehen. Siehe dazu Reimann a. a. O. I 38–50, 67; Richard Graf Du Moulin-Ekart, Hans von Bülow (München 1921) 19–25, 66 f.