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VIIIa[1]
Pillnitz (September 1849).
Theurer, verehrter Freund!

Ich schreibe heute an Sie, weil ich eine Veranlassung dazu habe: sollte man einer solchen bedürfen? Und doch ist es so. Das Leben ist so ungeheuer tragisch und tiefsinnig, daß das der Grund alles Schweigens ist. Wenn ich an Sie denke, preßt es mir das Herz zusammen vor Wehmuth, und was soll ich Ihnen dann sagen? Sie selbst denke ich mir so lebensmüde, von Krankheit gebeugt: ich ebenfalls immerwährend kämpfend mit Leiden aller Art, die mir nur so viel Kraft eben übrig lassen, um nicht zu unterliegen. Wir haben beide so viel erlebt und gedacht, und es dreht sich alles um einen Kreis herum: man steht im Mittelpunkt und schweigt. Und so bedarf es denn äußerer Anlässe, um einen zu bewegen, denn diese haben ihren Fortgang und nehmen uns so mit fort. –

Ich wollte Ihnen also von der Bülow schreiben: diese geht den 1sten October nach Berlin[2] und bringt den Winter dort zu. Sie hofft auf Sie, freut sich so, Sie mitunter zu sehen, und fürchtet doch, daß Sie gegen sie eingenommen sind. Es ist ihr aus dritter Hand zugekommen, daß Sie ihren Entschluß, ihren Sohn zu begleiten, tadeln, und so habe ich versprochen, ihn gegen Sie zu motiviren. Das thue ich nun aber nicht; denn ich kenne viel zu sehr Ihre großartige Weise die Dinge anzusehen, um mich auf all diese Klein-Krämereien einzulassen. Genug, ihr Schicksal führt nun einmal wieder die unglückliche Frau dorthin: vielleicht erwächst ihr durch Sie einiges Heil. Sie werden sie weit entwickelter und selbstständiger finden wie sonst. Mir ist ihr Umgang immer viel werth. Seit Dorothee[3] habe ich nie eine Frau wieder gefunden, die in meiner Sphäre lebt: nur will ich die Bülow nicht mit diesem in seiner Art einzigen Wesen vergleichen: allein ihre feine, geistige Richtung unterscheidet sie doch von allen gewöhnlichen andern Frauen und macht, daß sie mir werther ist und mir näher steht, wie die meisten. Ich bin überzeugt, daß Sie sich ihr nicht entziehen werden, und somit habe ich mein Versprechen gelöst. –

Waagen[4] war hier in Pillnitz und wollte mich besuchen: ich lag aber gerade an einem starken Gicht-Anfall seit drei Tagen zu Bett und habe ihn daher nicht gesehen. Ich versäume durch Kränklichkeit oft so viel.

den 16ten (Sept. 1849).

Dieser Brief lag angefangen da, als mir Teichmann heute den Ihrigen bringt. Auch durch meinen Mann hatte ich mündlich ausführlich Nachricht von Ihnen. Ihr Brief, wie schön, aber wie trostlos! Zum Glück hatte mir Teichmann doch


  1. Von Zaunick auf Grund der in der Preußischen Staatsbibliothek befindlichen Abschrift in Carus, Lebenserinnerungen V 117-120, erstmalig veröffentlicht.
  2. Im Herbst 1849 begleitete Franziska von Bülow ihren Sohn Hans nach Berlin, der dort seine juristischen Studien fortsetzen wollte. Wie Frau von Lüttichau erhoffte, erwies Tieck beiden viel Freundlichkeit. Siehe Reimann a. a. O. I 205 f. und Du Moulin-Eckart a. a. O. 66.
  3. Frau von Lüttichau hatte Tiecks Tochter Dorothea als ihr geistesverwandte Persönlichkeit hochgeschätzt. Vgl. Carus, Lebenserinnerungen III 126.
  4. Tiecks Neffe, der Kunsthistoriker Gustav Friedrich Waagen, war seit 1830 Direktor der Berliner Gemäldegalerie. Vgl. H. A. Lier, Allgemeine deutsche Biographie XL 411.