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Das sechste Wort Jesu am Kreuz.
(25. März 1915.)
Joh. 19, 30. 
Da nun Jesus den Essig genommen hatte, sprach er: Es ist vollbracht!


 Wir sind an der Hand der heiligen Worte und geleitet von der Treue der Evangelisten in die Todesstunde unseres Herrn und Heilandes gelangt und erleben wieder sein Sterben. Aber es ist nicht die Trauer, die unser Herz erfüllt, und nicht das Leid, das man um geliebte Menschen trägt, wenn sie von uns scheiden, sondern es ist uns, wie wenn man vom Siege redet, und eine stille, heimliche und heilige Freude geht durch unsere Seele: das Lamm Gottes hat überwunden, die ewige Barmherzigkeit hat ihr Werk getan. Den wir mit unseren heißesten Wünschen begleiteten, den wir auf sein Geheiß mit Gebet und Wachsamkeit ehren wollten und sollten, dem wir unser Herz erschließen, damit es endlich Inhalt bekomme, ehe es auch im Tode bricht, der hat jetzt den Tod – nicht erleiden müssen, sondern erleben dürfen.

 „Es ist vollbracht!“ Nachdem er die letzte Labung von der Welt empfangen hatte, er, der sie jetzt tausendfach labt und erquickt, und nachdem er die nötige Hilfe von der Armut der Erde angenommen, er, der die Armut jetzt tausendfach tröstet und wendet, und nachdem er willentlich und ernstlich und eifervoll in die Schrecken der Gottverlassenheit, in die Verbannung der Gottesferne gegangen war, atmete er tief auf, neigte sein Haupt und

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Hermann von Bezzel: Die sieben Worte Jesu am Kreuz. Müller & Fröhlich, München 1918, Seite 65. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermann_von_Bezzel_-_Die_sieben_Worte_Jesu_am_Kreuz.pdf/67&oldid=- (Version vom 1.8.2018)