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sein, wenn nur das Herz zum Herzen spricht! Das Aufsuchen der Not, nicht nur sie beraten lassen von den Geistlichen und von der offiziellen Armenpflege, das ist ein gutes Ding. Diakonissen können auch nicht alles; die innere Mission darf und will nicht alles können. Hier setzen die großen freiwilligen Aktionen ein, für die es so wenig Konkurrenz gibt, als sie Konkurrenz machen wollen. Man soll selbst in die Häuser gehen, sich nicht weigern in die Hütten des Elends hinabzusteigen und die schöpfungsmäßig bestimmten Pflichten einzuschärfen und einzuprägen. Und wo das nicht ausreichend möglich ist, weil die Not so übermächtig, die Gebundenheit so schwer und der Schrei nach Verdienst und Brot so laut ist, wäre auch für Ihre Bewegung die Aufgabe gegeben, Familien zur Hülfe zu suchen! Was wäre es ein Großes, wenn zwei, drei fromme Frauen und Familien, denen die Liebe Christi Drang und Zwang ist, sich zusammentäten, um der armen Kinder persönlich sich anzunehmen! Wir müssen mehr das persönliche Moment betonen, das sachliche ist jetzt oft genug erwogen worden. – Und nun sehen Sie, wie die Jugend heranwächst: gottfern, liebearm, aushäusig, ohne daß man sie bewillkommnet und segnet, wenn sie das Haus verläßt, falsch gezogen, verzogen und verwöhnt, bald darbend, bald in Ueberfluß sich ergehend, wächst ein armes, willensschwaches Geschlecht heran.

 Eine Elisabeth Fry ist ein „Sammelort“ für Kinder der Straße geworden; sie liefen auf sie zu, sie gab ihnen wohl ein gutes Bild, weil „Bilder bilden“. Wie viel Bilder warfen Sie beiseite, wie viel Ueberflüssiges wird oft im Hausrat weggelegt? – Was wäre es eine gute Arbeit, wenn wieder einige Frauen sich zusammenscharen würden. Wir wollen die Kinder, welche die Kinderschule nicht mehr fassen kann, mütterlich pflegen, ein freundliches Wort, eine alltägliche Sonntäglichkeit und eine sonntägliche Alltäglichkeit gewähren und bereiten, die Kinder sollen sich auf uns freuen, sie sollen von unserem Anblick sehen, wie wärmend die Sonne Gottes ist. Wenn Sie es über sich gewännen, nicht lange Moralpredigten zu halten, sondern wenn Sie es ihnen wohl zu Ihren Füßen sein lassen würden! Damit haben Sie in die Jugend Sonne gebracht und in ein verfinstertes, verarmtes oder verzerrtes und verkümmertes Leben etwas von einem Frieden eingesenkt, nach dessen Empfang man das Heimweh nimmer verlernt bis in die letzten Tage. Gerade das ist mir so am Herzen gelegen, daß unsere Kinderwelt wieder Sonne bekommt, in kleinen Freuden, in kleinen Herrlichkeiten, Sonne, die sie mit den Händen fassen, einsammeln, ins Herz legen kann, bis das arme Herz und Leben wieder mit Glanz durchleuchtet und mit Freuden angetan ist und es stark genug wurde, die schwere Häuslichkeit oder richtiger die schwere Unhäuslichkeit zu tragen.