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ein kluger Rat, für jede Frage, so viele ihrer aus der See des Leides emportauchen, ein fehlloser Bescheid vorhanden sei? Darf sie Anstalten gründen, große, gewaltige Bauten, da jeder Stein Sitte und jede Säule Ordnung ist? Ach, das alles darf sie, kann sie nicht wollen. Denn mit dem allem wäre ihr Ziel Vernotwendigung ihrer selbst, statt daß es dahin geht sich aus der Welt zu schaffen, wenn Gott selbst (Apoc. 16, 4) alle Tränen abwischen und den Tod und den Schmerz, Leid und Not in Kraft des sich auswirkenden tetelestai am Kreuze nimmer sein lassen wird. Satzungen wie Gesetze sind nie Selbstzweck, nur Mittel zum Zweck, daß man sie hat, wenn man sie braucht. Wenn eine Gottesstiftung auf geschriebene Satzungen sich verschränkt, so dämpft sie den Geist und verachtet sein Wort und Weisung. Die Spezialisierung der Innern Mission in ihrer Literatur mit Diakonissenkatechismus, -Liederbuch, mit Verschneidung der Perikopen auf bestimmte Zwecke hat immer etwas Mißliches. „Glaube an den Herrn Jesum Christum und tue die Werke deines Berufs“. Oder heißt das 7. Gebot anders für den gemeinen Sterblichen, anders für die Innere Mission? Und das Diakonissenkredo wird wohl auch nicht anders lauten können als unser „gemeinsamer christlicher Glaube“. Alles Anstaltliche aber hat die Gefahr, die Individualpflege zu verdrängen und den Menschen, für den allein eine Ewigkeit sich in die Zeit gewagt hat, in der Menge untergehen zu lassen. Anstaltsarbeit wird Technik und Routine und atmet schwerlich den Geist persönlichen Erbarmens und die Gabe der Persönlichkeitspflege.

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 Ziel der Innern Mission ist, die Christenpflicht der Hilfeleistung allenthalben zu schärfen, daß aller Zünftigkeit der Liebestat gewehrt und männiglich zu ihr sich verbunden wisse und bekenne. So geht sie durch die Zeiten und weckt das Gewissen: Komm herüber, dringe durch falsche Scheu, durch gemachtes Christentum, durch Formalismus und Quietismus hindurch und hilf. Sie wehrt sich, sie selbst und allein zu sein, bestreitet ihre alleinige Verpflichtung, teilt vielmehr die Pflicht der Liebe allen Christen zu. So lange sie aber in kümmerlicher Zeit nur von einzelnen gehört und geübt werden will, rüstet sie die Einzelnen zur Selbständigkeit aus: „Habe den Mut, dein selbst zu sein, du Erlöster!“ Denn du hattest lange genug den Mut, dir selbst zu gehören. – Sie wirkt auf Charakterbildung, die in heilsamer Selbstkritik auch durch die Verhältnisse schaut, den Willen zu sein und so zu sein betätigt und nicht das Leid, sondern die Leidenden betrachtet und behandelt. Weil ihr

Empfohlene Zitierweise:
Hermann von Bezzel: Grund, Kraft und Ziel der Inneren Mission. Buchhandlung der Diakonissenanstalt Neuendettelsau, Neuendettelsau ca. 1914, Seite 20. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermann_von_Bezzel_-_Grund,_Kraft_und_Ziel_der_Inneren_Mission.pdf/22&oldid=- (Version vom 24.10.2016)