Seite:Hermes 35 014.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.

praktischen Uebung in Schule und Leben von der alten Sophistik bis in die neue und weit über sie hinaus. Es ist dieselbe Sophistik zur Zeit des Isokrates und des Hermagoras, des Molon, des Theodoros, Theon, Din und Aristides, und weiter des Hermogenes und Lachares, wenn man will bis Gregor von Korinth und Michael Akominatos. Es ist durchaus richtig, dass die asianische Beredtsamkeit in der des Niketes und Polemon lebt, aber sie lebt nicht plötzlich wieder auf, am Wenigsten durch Zurückgreifen auf die längst verschollenen hellenistischen Redner, und dieselbe Rhetorik des Niketes und Polemon ist zugleich auch die fortlebende Sophistik des Isokrates, wenn man will des Gorgias und Thrasymachos, aber auch das nicht durch plötzliches bewusstes Zurückgreifen, sondern in der stillen Continuitat des Lebens, plus çα change, plus c’est la même chose. Nur einmal ist ein partieller Bruch eingetreten, durch die atheistische Reform der Sprache und des Rhythmus. Doch von der reden wir noch nicht; die Continuität der rhetorischen Praxis tangirt sie auch nicht.

Ohne Zweifel liegt ein stärkerer Anspruch auf Können und Wissen darin, wenn sich die Redelehrer und Redekünstler Sophisten nennen, als wenn sie nur Rhetoren sein wollen, worauf doch gerade Gorgias bei Platon mit Scharfe seine Ansprüche beschränkt. Aber wir stehen zu sehr unter dem Banne der platonischen und aristotelischen Terminologie, wenn wir meinen, dass der Sophistenname je den Nebenton des falschen und trüglichen nothwendig in sich getragen hätte, der für uns mit ihm verbunden ist. Das neue Marmor Parium hat gelehrt, dass der parische Schulmeister seine Knaben das Todesjahr des Philosophen Platon, aber des Sophisten Aristoteles auswendig lernen liess, offenbar, weil nur der Letztere auch Redelehrer gewesen war. Und Philodem hat gelehrt, dass Epikuros den Namen Sophist durchaus auf den Schulredner so angewandt hat, wie es Philodem selbst für seine Zeit auch thut, und wie es Philostratos thut. Gerade einem der schärfsten Atticisten giebt auch Strabon diesen selben Namen.[1] Dion aber kämpft nach seiner Bekehrung zur Philosophie immer gegen die Sophisten, was ihn nicht davor bewahrt hat, selbst, in ihrer Reihe einen Ehrenplatz zu erhalten. Also kann das Hervorziehen dieses Namens in keiner Weise Epoche machen; nur ein Gradmesser für die Ansprüche


  1. Dem Dionysios von Pergamon 625.
Empfohlene Zitierweise:
Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff: Asianismus und Atticismus. In: Hermes. Zeitschrift für classische Philologie Bd. 35. Berlin: Weidmannsche Buchhandlung, 1900, Seite 14. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermes_35_014.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)