Seite:Hermes 35 015.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.

mag es sein, die von den Rhetoren erhoben wurden. Mehr noch hat der allgemeine archaisirende Zug der Zeit gethan. Wenn man immer so that, als wäre die ganze Zeit nach Alexander gestrichen und lebte man beinahe im 4. Jahrhundert, so machte es sich fast von selbst, dass man Gorgias und Isokrates als Collegen behandelte.

Also die zweite Sophistik ist in dem Sinne keine festumgrenzte Periode, dass um 100 n. Chr. irgend etwas Neues begänne, was damals auch kein Mensch empfunden hat. Wenn wir den Namen weiter brauchen, um die grosse Masse Litteratur zusammenzufassen, die uns im Gegensatze zu der Aermlichkeit des 1. Jahrhunderts aus dem 2. vorliegt, so sollen wir uns seiner sehr bedingten Richtigkeit bewusst sein. Aber er ist ganz praktisch, weil das Selbstgefühl und die sociale Geltung der Rhetoren der Kaiserzeit in ihm ausgesprochen ist, die allerdings etwas Neues ist und namentlich mit der Verachtung contrastirt, die Aristoteles und Epikuros dem widmen, was sie Sophist nennen. Dies zu begreifen, müssen wir das halbe Jahrtausend und die säcularen Schwankungen in den Beziehungen zwischen Philosophie und Sophistik mit einem raschen Blicke überschauen.[1] Es ist das durch das tiefe erste Capitel in Arnims Dion erleichtert, dem ich die längste Stecke des Weges einfach folgen kann.

Das 5. Jahrhundert sah an seinem Ende, wie den Tod des nationalen Staates der Hellenen, so den Tod der hohen Poesie. Aber es waren zwei Mächte erstanden, die sich anheischig machten, die verlorenen Ideale zu ersetzen. Die Rhetorik beanspruchte die Erziehung der Jugend, versprach durch eine allgemeine formale Bildung den Menschen sittlich und politisch zu erziehen und tüchtig im praktischen Leben zu machen; sie getraute sich auch Kunstwerke zu erzeugen, die in jeder Weise die Poesie, die Lehrmeisterin der Erwachsenen, ersetzen konnten. Die Wissenschaft forderte die


  1. Es wäre vielleicht noch erforderlich, die politischen Beziehungen zu beleuchten, das Uebergewicht des Hellenischen, das die Reichspolitik Hadrians im Gegensätze zu der römischen des Augustus hervorruft, die materielle Blüthe, deren sich die griechischen Landestheile erfreuen, die von den Kaisern des 2. Jahrhunderts in fast befremdender Weise geförderte municipale Autonomie, der Eintritt der Griechen, gerade auch der Redner, in den Senat und damit das Reichsregiment und den Adel der Welt. Aber das würde den Zusammenhang dieses Aufsatzes vollends sprengen, der doch schon weite Umwege braucht, um sein eigentliches Thema einen Schritt zu fördern.
Empfohlene Zitierweise:
Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff: Asianismus und Atticismus. In: Hermes. Zeitschrift für classische Philologie Bd. 35. Berlin: Weidmannsche Buchhandlung, 1900, Seite 15. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermes_35_015.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)