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in der Praxis. Und die römische Poesie der Revolutionszeit tragt ebenfalls den rhetorischen Stempel. Aber die jungen Römer kamen nach Asien, Athen und Rhodos und hörten dort auch gelegentlich die Philosophen. So erfassten diese das hohe Ziel richtig, die Herrscher der Welt zu überzeugen, dass sie bei ihnen Höheres erhalten könnten, damit sie allmählich einer tieferen hellenischen Bildung zugeführt wurden, wie das in kleinem Kreise der Besten Panaitios schon vollbracht hatte. Dazu gehörte aber eine beträchtliche Concession an die rhetorische künstlerische Form und den rhetorischen Unterricht.

Poseidonios, der Geschichtsschreiber der römischen Optimatenoligarchie,[1] der encyclopädische Gelehrte, der noch einmal in aristotelischer Weise die Summe des Wissens in sich vereinigt und in platonischer Weise die Bedeutung der Mathematik und der Mystik gleichermaassen zu würdigen weiss, ist nicht nur im Gegensatze zu seiner Schule ein vollendeter Stilist mit allen rhetorischen Künsten, sondern er disputirt noch als Greis über ein rhetorisches Thema vor einem römischen Grossen. So hat er die Wissenschaft salonfähig gemacht. Ohne ihn wäre Varro gar nicht denkbar,[2] und Cicero ist ihm für vieles verpflichtet, was dann am tiefsten gewirkt hat. Aber es ist in Rom wenig mehr als Salonwissenschaft aus der Anregung des grossen Apameners erwachsen. Philon von Larissa übermittelt dem Cicero das neue Ideal des wissenschaftlich gebildeten Redners, nach dem die Rhetorik eine der Philosophie untergeordnete Potenz ist, deren sich der wahrhaft gebildete Philosoph bedient, um im praktischen Leben zu wirken. Was Cicero in den Büchern von Redner aufstellt,[3] ist das höchste Lebensideal,


  1. Angesetzt hat er als solcher ausdrücklich an Polybios, aber innerlich und stilistisch ist er diesem sehr wenig verwandt. Er hat da vielmehr Von den peripatetischen Historikern und von Timaios, dem Polybios so bitter feind war. Timaios ist denn auch für Varro und Cicero eine hohe Autorität, und man darf ihn nicht bloss nach Polybios beurtheilen.
  2. Auf die Degradation der Wissenschaft zu den disciplinae der ἐγκύκλιος παιδεία gehe ich nicht ein. Darin ist der Bankerott der Philosophie eingestanden; gemeint war sie freilich so, wie die Erfinder des preussischen Gymnasiums die allgemeine Bildung meinten, zuerst in wirklich hohem Sinne echter Philosophie, und so gehört ihre Erfindung in die Zeit des Poseidonios und Philon.
  3. Arnim hat mich mit der Zurückführung der entscheidenden Gedanken auf Philon durchaus überzeugt. Man muss nur hier gerade wirklich sehr viel [19] auf die Person Ciceros zurückführen, der das erfüllte, was Philon forderte. Das Ethos, das durch diesen Dialog weht, kommt nicht von dem athenischen Professor, sondern von dem Manne, der am Regiments der Welt Hand angelegt hatte, und der zugleich begriffen hat, dass es ein Höheres giebt, das bestehen und blühen wird, auch wenn diese Welt zusammenbricht.
Empfohlene Zitierweise:
Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff: Asianismus und Atticismus. In: Hermes. Zeitschrift für classische Philologie Bd. 35. Berlin: Weidmannsche Buchhandlung, 1900, Seite 18. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermes_35_018.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)