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Der muss Polybios sehr obenhin gelesen haben, der bei ihm die Arbeit verkennt, die in der Periodisirung steckt; selbst ein Diodor hat darin seine stilistische Ambition, und wenn ein Fachmann ein gelehrtes Werk ohne alle stilistischen Aspirationen verfasst, so verfehlt er nicht in den Widmungen periodisch zu schreiben.[1] Dieser Stil hat also seine Parallele nicht in der Poesie, sondern in der Musik.[2] Ihm steht eine andere Weise gegenüber, die wie die Poesie von der Sylbenquantität ausgeht, die von der Sprache ganz ebenso gut unmittelbar geliefert wird wie der Klang. Aristoteles bezeugt uns, dass Thrasymachos zuerst auf diese rhythmische Wirkung geachtet hat; daher heisst es, dass er den metrischen Begriff κῶλον zuerst gebraucht habe.[3] Natürlich fielen bestimmte Rhythmen nur im Anfange und am Schlusse des Satzes deutlich in das Ohr. Wer also auf solche Wirkung ausging, der kam dazu, die Rede in einzelne rhythmische Glieder und Gliedchen zu zertheilen, so dass sie ganz und gar als rhythmisch empfunden ward. Dann unterschied sie nur die Regellosigkeit der Rhythmenfolge von der gelesenen Poesie: ein durchgehender Takt würde sie ganz dazu gemacht haben. Aber schon die Wahl der Paeone, die Thrasymachos empfahl, zeigt, dass er sich hütete, den Unterschied der Gattungen zu verwischen. Die gleichzeitige Poesie hatte das Ziel fast erreicht, auch in den Versgattungen, welche den Hiatus unter Verkürzung einer schliessenden vocalischen Lange nach dem homerischen Vorbilde zuliessen, hiatuslos zu bleiben, wie immer in Iamben und Trochäen geschehen war.[4] Das musste diese Prosa


  1. Höchst bezeichnend die Kegelschnitte des Apollonios.
  2. Daher seine Wirkung so oft κηλεῖν, γοητεύειν, der ihn ausübt Σειρήν, κηληδών heisst.
  3. Aristoteles Rhet. 3, 8, Suid. s. v., wo neben κῶλον auch περίοδος genannt ist, kaum richtig. Auf ihn geht es, wenn Cicero or. 39 der ältesten Beredtsamkeit minuta et versiculorum similia quaedam zuschreibt. Er wirft ihn mit Gorgias in einen Topf, hat natürlich von beiden nichts selbst gelesen. Den Hiatus vertreibt aus dem erhaltenen Stücke nur Gewalt. Uebrigens wird Thrasymachos sich in seiner langen Thätigkeit nicht gleich geblieben sein. Für Theophrast war er der Stifter der vollkommensten Rede, des μέσον.
  4. Jene Verkürzung war nichts als eine Unvollkommenheit, die sich die homerischen Dichter nothgedrungen verstatteten und die nach ihrem Vorbilde wenigstens in den Versen, welche zwei kurze Senkungen hinter einander haben, legitim war (in Lesbos und bei Anakreon jedoch nur im homerischen Hexameter). Aber hässlich fand man es immer; selbst Pindar hat es in besonders gefeilten Gedichten gemieden, und so Aristophanes seine [34] Anapäste sehr verschieden gestaltet. Die Athener, ausser Sophokles, wurden immer strenger, und Euripides hat in vielen seiner letzten Dramen höchstens in Daktylen vereinzelte Verkürzungen.
Empfohlene Zitierweise:
Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff: Asianismus und Atticismus. In: Hermes. Zeitschrift für classische Philologie Bd. 35. Berlin: Weidmannsche Buchhandlung, 1900, Seite 33. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermes_35_033.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)