Seite:Hermes 35 044.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.

Classiker geworden ist. Die peripherische Schule[1] hat nach Kritolaos keine Bedeutung, und als sie durch Aristonikos die Wendung nimmt, die Werke des Stifters zu commentiren und paraphrasiren, wird ihre Lehre vollends esoterisch. Sie zeugt damit für den allgemein rückwärts classicistisch gerichteten Geist der Zeit. Aber eine aus der rhetorischen Lehre des Aristoteles und Theophrastos stammende und nie unterbrochene Anregung wirkte doch sehr stark auf den stilistischen Geschmack. Die Grundlage der Stillehre des Dionysios ist ja theophrastisch. Die sophistische Rhetorik des Hermagoras hat, so viel wir wissen, die φράσις über die εὕρεσις stark vernachlässigt; wir haben von ihm keinerlei Vorschriften über sie. Ciceros Rhetorik nennen wir aus demselben Grunde de inventione, und noch von Apollodoros von Pergamon haben wir nichts Stilistisches. Dagegen ist das letzte Buch der Rhetorik ad Herennium ein sehr werthvoller Tractat π. λέξεως, dessen asianische Form zu den verständigen Lehrsätzen in seltsamem Contraste steht. Die theophrastische Grundlage ist auch hier unverkennbar: der rhodische Rhetor hat offenbar, vermuthlich durch Vermittelung der Grammatik, eine Lehre vorgetragen, die auf Sprache und Stil reformirend wirken musste, sobald man sie in der Praxis ernst nahm. Die Postulate, dass die Rede rein und dass sie griechisch sein sollte, die Warnung vor den Fehlern des βαρβαρισμός und σολοικισμός hat wohl immer auch in der rhetorischen Techne gestanden: auch hier war die sprachliche Reaction und die Forderung des Anschlusses an die Attiker nothwendig, so bald man die Frage, was ist Griechisch, mit festen positiven Regeln und Belegen beantworten wollte, wie es die Grammatiker zumal in Rom mussten und thaten.

Dies führt zu der Betrachtung des Factors, den Dionysios als Urheber der Geschmacksänderung bezeichnet, Roms. Wenn er fortfährt


  1. Die Stoa hatte ihr erstes Jahrhundert lang die Form gröblich vernachlässigt, und ich vermag dem, was von der Polemik des Diogenes von Babylon übrig ist, nichts nach dieser Seite Belangreiches zu entnehmen (was Radermacher jüngst über eine stoische Vorlage von Cicero de oratore vorgetragen hat, Rh. M. 54, 285, kann ich nicht billigen). Dann treibt freilich Panaitios sogar sprachlich-philologische Studien an Platon. Aber bei Poseidonios und seiner Schule tritt diese Seite ganz zurück. Gleichwohl will ich gern glauben, dass Gelehrtere auch Stoiker aufzeigen können, die im ähnlichen Sinne thätig gewesen sind wie Philon. Die Epikureer bedeuten nichts, so Werthvolles wir Philodem verdanken.
Empfohlene Zitierweise:
Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff: Asianismus und Atticismus. In: Hermes. Zeitschrift für classische Philologie Bd. 35. Berlin: Weidmannsche Buchhandlung, 1900, Seite 44. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermes_35_044.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)