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Verwahrung gegen jeden Versuch einer Verwechslung mit dem andern Kilchberg, dem es übrigens um diese Zeit anfing, schlecht zu gehen. Er hatte es im Hausgebrauch zu groß getrieben, daneben vielerlei Verwegenes unternommen, war plötzlich in Stockung gerathen und nur durch den Vater seiner Frau vor dem gänzlichen Zusammenbruche bewahrt worden. Aber mit dem Prestige des Hauses Kilchberg war es vorbei, während Martin Kilchbergs Stern sich erhob. Der Erste war nicht abgeneigt, in dieser zufälligen Folge eine ursächliche zu erblicken. Martin war schuld an seinem Niedergange, und wenn Kilchberg seinen beschränkten Vetter bisher nur aus der Höhe verachtet hatte, begann er ihn jetzt aus der Tiefe bitterlich zu hassen. Kamen sie an einander vorbei, so warfen sie sich Blicke wie vergiftete Dolche zu. Der Unterschied ihrer Verhältnisse mochte sie noch höhnischer ergrimmen, weil es jetzt der umgekehrte war. Kilchberg wurde zusehends ärmer, wie sein Vetter von Tag zu Tag reicher. In der Stadt aber ward es ein Sprichwort, wenn man Todfeindschaft zwischen zwei Leuten bezeichnen wollte: Sie hassen einander, wie Kilchberg und sein Vetter.

Da trat nach mehreren Jahren eine neue Wendung ein. Kilchbergs Schwiegervater starb und hinterließ ein unerwartet großes Vermögen, das er aus Furcht vor dem waghalsigen Unternehmungsgeiste seines Tochtermannes verheimlicht hatte. Nun hatte Kilchberg wieder Wasser auf der Mühle, und nun wollte er an seinem Vetter die langgenährte Rache nehmen. Nun sollte man in der Stadt sehen, wer der eigentliche Kilchberg war. Aber nicht mehr mit der Unvorsichtigkeit seiner jugendlichen Zeit ging er zu Werke, Kilchberg hatte aus seinem Auf- und Niederstiege gelernt. Er war unerschrocken geblieben, aber umsichtig

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Theodor Herzl: Philosophische Erzählungen. Gebrüder Paetel, Berlin 1900, Seite 95. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Herzl_Philosophische_Erzaehlungen.djvu/100&oldid=- (Version vom 1.8.2018)