Seite:Illustrirte Zeitung 1843 01.pdf/5

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Illustrirte Zeitung, Nr. 1 vom 1. Juli 1843

Medaille des Tunnelbauvereins auf Sir I. Brunel, mit einem Tunnelgräber als Schildhalter

Die Eröffnung des Themsetunnels.

Hätte der menschliche Scharfsinn aus den „sieben“ Wundern der Welt nicht längst siebenhundert gemacht, so würde der Themsetunnel jedenfalls für das achte Weltwunder gelten. Dieses kühne Unternehmen, zwischen den Ufern eines breiten und tiefen Flusses, ohne alle Behinderung der Beschiffung, eine Verbindung herzustellen, war und bleibt wahrscheinlich viele Jahrhunderte unvergleichlich. Wann und wo läßt sich wieder ein solches Zusammentreffen erwarten von physischer und commercieller Nothwendigkeit, von Hülfsmitteln an Geld und Wissenschaft, von begründeter Aussicht auf Ertrag und von der nöthigen Kühnheit und Kraft zur Entwerfung und Ausführung eines Werkes der Art? Auch blickte die ganze Welt fortwährend mit ungeschwächter Theilnahme auf den Fortschritt des Tunnelbaues. Als Miß Pardoe 1836 die Türkei bereiste, erkundigte sich ein albanesischer Häuptling danach und in Aegypten, wo sich ein neues Land wie ein Phönix erhebt, gehörte die Erbauung des Themsetunnels zu den Gegenständen der volksthümlichen Erzählung. Das Riesenwerk ist jetzt vollendet; am 25. März 1843 wohnten Tausende von staunenden Zuschauern seiner Eröffnung bei.

Treppe zum Tunneleingang

Ein in den Hauptzügen ähnlicher Bau, von Gravesend nach Tilbury, ward schon 1799 von Dodd vorgeschlagen, ja sogar begonnen, aber bald als unausführbar wieder aufgegeben. Zwei bis drei Jahre später unternahm ein geschickter Bergmann aus Cornwallis, Namens Besey, den Versuch, eine englische Meile stromabwärts von dem jetzigen Tunnel Rotherhithe und Limehouse durch einen Bogengang unter der Themse zu verbinden. Er begann mit der Ausgrabung eines Schachtes von 11 Fuß Durchmesser, vermochte aber nicht tiefer, als 42 Fuß zu kommen. Ein anderer Baumeister führte den Schacht mit einem Durchmesser von 8 Fuß bis in eine Tiefe von 76 Fuß, und hier begann 1807 ein dritter Baumeister einen Stollen, der eine Breite von drei Fuß erhielt und mit Bohlen ausgefüttert wurde. Diese Stollen hatte schon eine Länge von 952 Fuß erreicht und war nur noch 150 Fuß vom andern Ufer entfernt, als das Wasser durch die 30 Fuß dicke Decke einbrach und zwar bewältigt wurde, aber die Arbeiter in dem jetzt nur noch 3 Fuß hohen Stollen wiederholt dergestalt störte, daß man an der Ausführung eines benutzbaren Weges verzweifelte. Nachdem sich 1809 noch ein neuer Baumeister vergeblich bemüht, wurde der ganze Plan aufgegeben.

Erst 1823 wurde die Sache wieder angeregt. Der französische Ingenieur Brunel war beim Anblick eines von lauter einzelnen, dicht aneinander liegenden Gängen des Bohrwurms ausgehöhlten Schiffskiels auf den Gedanken gekommen, daß man durch gleichzeitige Ausführung einer Anzahl solcher einzelnen kleinen Stollen dicht neben einander einen großen Tunnel herstellen könne. Demgemäß ließ er zwölf Kasten ohne Boden anfertigen, wie man sie bei Wasserbauten ins Wasser legt. Diese Rahmen stellte er auf eine Seite aufrecht neben einander und theilte jeden durch Querwände in drei Theile, so daß alle zusammen 36 Fächer bildeten, die als Ausgangspunkte für eben so viele einzelne Gänge dienten. Jedes Fach war für einen Arbeiter bestimmt und rückwärts offen, vorn aber mit einem beweglichen Brete verschlossen. Alle Rahmen zusammen hießen der Schild. Diesen Schild stellte man an die auszugrabende Erde. Der Arbeiter nahm das vordere bewegliche Bret weg, grub eine Strecke aus, stellte das Bret gegen die bloß gewordene Erdfläche und befestigte es durch Stützen in dieser Lage. Sobald von allen drei Fächern eines Rahmens aus auf gleiche Weise verfahren worden, wurde der ganze Rahmen durch zwei Schrauben, von denen die eine oben, die andere unten wirkte, vorwärts in den ausgehöhlten Raum hineingeschoben. In derselben Art bewegten sich auch die übrigen Rahmen fort, und während ein Theil der Arbeiter vor den Fächern die Erde wegnahm, mauerte ein anderer Theil hinter denselben den Tunnel aus. Der Schild stützte die Erde, bis das Gewölbe fertig war und das Mauerwerk diente wieder den Schrauben zum Stützpunkt, durch welche die einzelnen Rahmen des Schildes vorgeschoben wurden. Der Anwendung dieses Mittels verdankt man die glückliche Vollendung des Werkes. Es ist ganz Brunel’s Erfindung und wird seinen Namen unsterblich machen. Die Eigenthümer des Tunnels beabsichtigen, den Schild ihm zu Ehren aufzustellen und als ein Nationaldenkmal zu erhalten. Eine Denkmünze, welche sie haben prägen lassen, mit seinem Brustbilde auf dem Avers und der Inschrift „Thames Tunnel, opened 25 March 1843“ auf dem Revers, wie die Illustration es darstellt, hält ein Tunnelgräber im Arbeitsanzuge. Die lange Kappe, welche ihm auf dem Rücken herabhängt, hatte die Bestimmung, ihn gegen das herabträufelnde Wasser zu schützen.

Zur Anlegung des Tunnels wurde ein Punkt ausgewählt zwischen Rotherhithe und Wapping: fast die einzige

Empfohlene Zitierweise:
: Illustrirte Zeitung, Nr. 1 vom 1. Juli 1843. J. J. Weber, Leipzig 1843, Seite 5. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Illustrirte_Zeitung_1843_01.pdf/5&oldid=- (Version vom 13.3.2020)