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verlassen, und durch Begriffe, denen überall kein entsprechender Gegenstand in der Erfahrung gegeben werden kan, den Umfang unserer Urtheile über alle Grenzen derselben zu erweitern den Anschein haben.

 Und gerade in diesen lezteren Erkentnissen, welche über die Sinnenwelt hinausgehen, wo Erfahrung gar keinen Leitfaden noch Berichtigung geben kan, liegen die Nachforschungen unsrer Vernunft, die wir der Wichtigkeit nach vor weit vorzüglicher, und ihre Endabsicht vor viel erhabener halten, als alles, was der Verstand im Felde der Erscheinungen lernen kan, wobey wir, sogar auf die Gefahr zu irren, eher alles wagen, als daß wir so angelegene Untersuchungen aus irgend einem Grunde der Bedenklichkeit, oder aus Geringschätzung und Gleichgültigkeit aufgeben sollten.

 Nun scheint es zwar natürlich, daß, so bald man den Boden der Erfahrung verlassen hat, man doch nicht mit Erkentnissen, die man besizt, ohne zu wissen woher, und auf den Credit der Grundsätze, deren Ursprung man nicht kennt, so fort ein Gebäude errichten werde, ohne der Grundlegung desselben durch sorgfältige Untersuchungen vorher versichert zu seyn, daß man also die Frage vorlängst werde aufgeworfen haben, wie denn der Verstand zu allen diesen Erkentnissen a priori kommen könne, und welchen Umfang, Gültigkeit und Werth sie haben mögen.

Empfohlene Zitierweise:
Immanuel Kant: Critik der reinen Vernunft (1781). Johann Friedrich Hartknoch, Riga 1781, Seite 003. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kant_Critik_der_reinen_Vernunft_003.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)