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135 Einleitung. 135

 Ob nun aber gleich die allgemeine Logik der Urtheilskraft keine Vorschriften geben kan, so ist es doch mit der transscendentalen ganz anders bewandt, so gar daß es scheint, die leztere habe es zu ihrem eigentlichen Geschäfte, die Urtheilskraft im Gebrauch des reinen Verstandes, durch bestimte Regeln zu berichtigen und zu sichern. Denn, um dem Verstande im Felde reiner Erkentnisse a priori Erweiterung zu verschaffen, mithin als Doctrin scheint Philosophie gar nicht nöthig, oder vielmehr übel angebracht zu seyn, weil man nach allen bisherigen Versuchen, damit doch wenig oder gar kein Land gewonnen hat, sondern als Critik, um die Fehltritte der Urtheilskraft (lapsus iudicii) im Gebrauch der wenigen reinen Verstandesbegriffe, die wir haben, zu verhüten, dazu (obgleich der Nutzen alsdenn nur negativ ist) wird Philosophie mit ihrer ganzen Scharfsinnigkeit und Prüfungskunst aufgeboten.

 Es hat aber die Transscendental-Philosophie das Eigenthümliche: daß sie ausser der Regel (oder vielmehr der allgemeinen Bedingung zu Regeln), die in dem reinen Begriffe des Verstandes gegeben wird, zugleich a priori den Fall anzeigen kan, worauf sie angewandt werden sollen. Die Ursache von dem Vorzuge, den sie in diesem Stücke vor allen andern belehrenden Wissenschaften hat, (ausser der Mathematik) liegt eben darin: daß sie von Begriffen handelt, die sich auf ihre Gegenstände a priori beziehen sollen, mithin kan ihre obiective Gültigkeit nicht a posteriori

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Immanuel Kant: Critik der reinen Vernunft (1781). Johann Friedrich Hartknoch, Riga 1781, Seite 135. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kant_Critik_der_reinen_Vernunft_135.png&oldid=- (Version vom 18.8.2016)