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474 Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptst. 474

So ist der Empirismus der transscendental-idealisirenden Vernunft aller Popularität gänzlich beraubt und, so viel Nachtheiliges wider die oberste practische Grundsätze sie auch enthalten mag, so ist doch gar nicht zu besorgen: daß sie die Gränzen der Schule iemals überschreiten und im gemeinen Wesen ein, nur einiger massen beträchtliches, Ansehen und einige Gunst bey der grossen Menge erwerben werde.

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 Die menschliche Vernunft ist ihrer Natur nach architectonisch, d. i. sie betrachtet alle Erkentnisse, als gehörig zu einem möglichen System, und verstattet daher auch nur solche Principien, die eine vorhabende Erkentniß wenigstens nicht unfähig machen, in irgend einem System mit anderen zusammen zu stehen. Die Sätze der Antithesis sind aber von der Art: daß sie die Vollendung eines Gebäudes von Erkentnissen gänzlich unmöglich machen. Nach ihnen giebt es über einen Zustand der Welt immer einen noch älteren, in iedem Theile immer noch andere wiederum theilbare, vor ieder Begebenheit eine andere, die wiederum eben so wol anderweitig erzeugt war, und im Daseyn überhaupt alles immer nur bedingt, ohne irgend ein unbedingtes und erstes Daseyn anzuerkennen. Da also die Antithesis nirgend ein Erstes einräumt und keinen Anfang, der schlechthin zum Grunde des Baues dienen könte, so ist ein vollständiges Gebäude der Erkentniß, bey dergleichen Voraussetzungen gänzlich unmöglich.

Daher
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Immanuel Kant: Critik der reinen Vernunft (1781). Johann Friedrich Hartknoch, Riga 1781, Seite 474. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kant_Critik_der_reinen_Vernunft_474.png&oldid=- (Version vom 18.8.2016)