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534 Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptst. 534

Freiheit im practischen Verstande ist die Unabhängigkeit der Willkühr von der Nöthigung durch Antriebe der Sinnlichkeit. Denn eine Willkühr ist sinnlich, so fern sie pathologisch (durch Bewegursachen der Sinnlichkeit) afficirt ist; sie heißt thierisch (arbitrium brutum), wenn sie pathologisch necessitirt werden kan. Die menschliche Willkühr ist zwar ein arbitrium sensitiuum, aber nicht brutum, sondern liberum, weil Sinnlichkeit ihre Handlung nicht nothwendig macht, sondern dem Menschen ein Vermögen beiwohnt, sich unabhängig von der Nöthigung durch sinnliche Antriebe von selbst zu bestimmen.

 Man siehet leicht: daß, wenn alle Caussalität in der Sinnenwelt blos Natur wäre, so würde iede Begebenheit durch eine andere in der Zeit nach nothwendigen Gesetzen bestimt seyn und mithin, da die Erscheinungen, so fern sie die Willkühr bestimmen, iede Handlung als ihren natürlichen Erfolg nothwendig machen müßten: so würde die Aufhebung der transscendentalen Freiheit zugleich alle practische Freiheit vertilgen. Denn diese sezt voraus: daß, obgleich etwas nicht geschehen ist, es doch habe geschehen sollen und seine Ursache in der Erscheinung also nicht so bestimmend war, daß nicht in unserer Willkühr eine Caussalität liege, unabhängig von ienen Naturursachen und selbst wider ihre Gewalt und Einfluß etwas hervorzubringen, was in der Zeitordnung nach empirischen Gesetzen bestimt ist, mithin eine Reihe von Begebenheiten ganz von selbst anzufangen.

Es
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Immanuel Kant: Critik der reinen Vernunft (1781). Johann Friedrich Hartknoch, Riga 1781, Seite 534. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kant_Critik_der_reinen_Vernunft_534.png&oldid=- (Version vom 18.8.2016)