VII. Absch. Critik aller speculativen Theologie. | 635 |
kan. Sie wird der Naturerkentniß entgegengesezt, welche auf keine andere Gegenstände oder Prädicate derselben geht, als die in einer möglichen Erfahrung gegeben werden können.
Der Grundsatz: von dem, was geschieht, (dem empirischzufälligen) als Wirkung, auf eine Ursache zu schliessen, ist ein Princip der Naturerkentniß, aber nicht der speculativen. Denn, wenn man von ihm, als einem Grundsatze, der die Bedingung möglicher Erfahrung überhaupt enthält, abstrahirt und, indem man alles Empirische wegläßt, ihn vom Zufälligen überhaupt aussagen will, so bleibt nicht die mindeste Rechtfertigung eines solchen synthetischen Satzes übrig, um daraus zu ersehen, wie ich von etwas, was da ist, zu etwas davon ganz Verschiedenem (genant Ursache) übergehen könne; ia der Begriff einer Ursache verliert eben so, wie des Zufälligen, in solchem blos speculativen Gebrauche, alle Bedeutung, deren obiective Realität sich in concreto begreiflich machen lasse.
Wenn man nun vom Daseyn der Dinge in der Welt auf ihre Ursache schließt: so gehört dieses nicht zum natürlichen, sondern zum speculativen Vernunftgebrauch; weil iener nicht die Dinge selbst (Substanzen), sondern nur das, was geschieht, also ihre Zustände, als empirisch zufällig, auf irgend eine Ursache bezieht; daß die Substanz selbst (die Materie) dem Daseyn nach zufällig sey, würde ein blos speculatives Vernunfterkentniß seyn
müssen. |
Immanuel Kant: Critik der reinen Vernunft (1781). Johann Friedrich Hartknoch, Riga 1781, Seite 635. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kant_Critik_der_reinen_Vernunft_635.png&oldid=- (Version vom 18.8.2016)