Seite:Kant Critik der reinen Vernunft 651.png

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
651 VII. Absch. Critik aller speculativen Theologie. 651

angenommen wird. Denn mit welcher Befugniß kan die Vernunft im logischen Gebrauche verlangen, die Mannigfaltigkeit der Kräfte, welche uns die Natur zu erkennen giebt, als eine blos versteckte Einheit zu behandeln und sie aus irgend einer Grundkraft, so viel an ihr ist, abzuleiten, wenn es ihr frey stände zuzugeben, daß es eben so wol möglich sey, alle Kräfte wären ungleichartig, und die systematische Einheit ihrer Ableitung der Natur nicht gemäß: denn alsdenn würde sie gerade wider ihre Bestimmung verfahren, indem sie sich eine Idee zum Ziele sezte, die der Natureinrichtung ganz widerspräche. Auch kan man nicht sagen: sie habe zuvor von der zufälligen Beschaffenheit der Natur diese Einheit nach Principien der Vernunft abgenommen. Denn das Gesetz der Vernunft, sie zu suchen, ist nothwendig, weil wir ohne dasselbe gar keine Vernunft, ohne diese aber keinen zusammenhangenden Verstandesgebrauch und, in dessen Ermangelung, kein zureichendes Merkmal empirischer Wahrheit haben würden und, wir also in Ansehung des lezteren die systematische Einheit der Natur durchaus als obiectivgültig und nothwendig voraussetzen müssen.

.

 Wir finden diese transscendentale Voraussetzung auch auf eine bewundernswürdige Weise in den Grundsätzen der Philosophen versteckt, wiewol sie solche darin nicht immer erkant, oder sich selbst gestanden haben. Daß alle Mannigfaltigkeiten einzelner Dinge die Identität der Art nicht ausschließen, daß die mancherley Arten nur als verschiedentliche

schie-
Empfohlene Zitierweise:
Immanuel Kant: Critik der reinen Vernunft (1781). Johann Friedrich Hartknoch, Riga 1781, Seite 651. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kant_Critik_der_reinen_Vernunft_651.png&oldid=- (Version vom 18.8.2016)