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776 Methodenlehre I. Hauptst. III. Absch. 776

 Ob aber gleich bey blos speculativen Fragen der reinen Vernunft keine Hypothesen statt finden, um Sätze darauf zu gründen, so sind sie dennoch ganz zulässig, um sie allenfals nur zu vertheidigen, d. i. zwar nicht im dogmatischen, aber doch im polemischen Gebrauche. Ich verstehe aber unter Vertheidigung nicht die Vermehrung der Beweisgründe seiner Behauptung, sondern die blosse Vereitelung der Scheineinsichten des Gegners, welche unserem behaupteten Satze Abbruch thun sollen. Nun haben aber alle synthetische Sätze aus reiner Vernunft das Eigenthümliche an sich: daß, wenn der, welcher die Realität gewisser Ideen behauptet, gleich niemals so viel weis, um diesen seinen Satz gewiß zu machen, auf der andern Seite der Gegner eben so wenig wissen kan, um das Widerspiel zu behaupten. Diese Gleichheit des Looses der menschlichen Vernunft, begünstigt nun zwar im speculativen Erkentnisse keinen von beiden und da ist auch der rechte Kampfplatz nimmer beizulegender Fehden. Es wird sich aber in der Folge zeigen, daß doch, in Ansehung des practischen Gebrauchs, die Vernunft ein Recht habe, etwas anzunehmen, was sie auf keine Weise im Felde der blossen Speculation, ohne hinreichende Beweisgründe, vorauszusetzen befugt wäre; weil alle solche Voraussetzungen der Vollkommenheit der Speculation Abbruch thun, um welche sich aber das practische Interesse gar nicht bekümmert. Dort ist sie also im Besitze, dessen Rechtmässigkeit sie nicht beweisen darf, und wovon sie in der That den Beweis auch

nicht
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Immanuel Kant: Critik der reinen Vernunft (1781). Johann Friedrich Hartknoch, Riga 1781, Seite 776. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kant_Critik_der_reinen_Vernunft_776.png&oldid=- (Version vom 18.8.2016)