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779 Die Disciplin d. r. Vernunft in Hypothesen. 779

des intellectuellen. Der Cörper wäre also nicht die Ursache des Denkens, sondern eine blos restringirende Bedingung desselben, mithin zwar als Beförderung des sinnlichen und animalischen, aber desto mehr auch als Hinderniß des reinen und spirituellen Lebens anzusehen, und die Abhängigkeit des ersteren von der körperlichen Beschaffenheit bewiese nichts vor die Abhängigkeit des ganzen Lebens, von dem Zustande unserer Organen. Ihr könt aber noch weiter gehen und wol gar neue, entweder nicht aufgeworfene, oder nicht weit genug getriebene Zweifel ausfindig machen.

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 Die Zufälligkeit der Zeugungen, die bey Menschen, so wie beim vernunftlosen Geschöpfe, von der Gelegenheit, überdem aber auch oft vom Unterhalte, von der Regierung, deren Launen und Einfällen, oft so gar vom Laster abhängt, macht eine grosse Schwierigkeit wider die Meinung, der auf Ewigkeiten sich erstreckenden Fortdauer eines Geschöpfs, dessen Leben unter so unerheblichen und unserer Freiheit so ganz und gar überlassenen Umständen zuerst angefangen hat. Was die Fortdauer der ganzen Gattung (hier auf Erden) betrift, so hat diese Schwierigkeit in Ansehung derselben wenig auf sich, weil der Zufall im Einzelnen nichts desto weniger einer Regel im Ganzen unterworfen ist; aber in Ansehung eines ieden Individuum eine so mächtige Wirkung von so geringfügigen Ursachen zu erwarten, scheint allerdings bedenklich. Hiewider könt ihr aber eine transscendentale Hypothese aufbieten: daß alles Leben eigentlich nur

intelli-
Empfohlene Zitierweise:
Immanuel Kant: Critik der reinen Vernunft (1781). Johann Friedrich Hartknoch, Riga 1781, Seite 779. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kant_Critik_der_reinen_Vernunft_779.png&oldid=- (Version vom 18.8.2016)