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781 Die Disciplin d. r. Vernunft in Hypothesen. 781

die Anmassungen des dreustverneinenden Gegners vorkehrt, muß nicht davor gehalten werden, als wolle er sie sich als seine wahre Meinungen eigen machen. Er verläßt sie, sobald er den dogmatischen Eigendünkel des Gegners abgefertigt hat. Denn so bescheiden und gemässigt es auch anzusehen ist, wenn jemand sich in Ansehung fremder Behauptungen blos weigernd und verneinend verhält, so ist doch iederzeit, sobald er diese seine Einwürfe als Beweise des Gegentheils geltend machen will, der Anspruch nicht weniger stolz und eingebildet, als ob er die beiahende Parthey und deren Behauptung ergriffen hätte.

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 Man siehet also hieraus: daß im speculativen Gebrauche der Vernunft Hypothesen keine Gültigkeit, als Meinungen an sich selbst, sondern nur relativ auf entgegengesezte transscendente Anmassungen haben. Denn die Ausdehnung der Principien möglicher Erfahrung auf die Möglichkeit der Dinge überhaupt ist eben so wol transscendent, als die Behauptung der obiectiven Realität solcher Begriffe, welche ihre Gegenstände nirgend, als ausserhalb der Gränze aller möglichen Erfahrung finden können. Was reine Vernunft assertorisch urtheilt, muß (wie alles, was Vernunft erkent) nothwendig seyn, oder es ist gar nichts. Demnach enthält sie in der That gar keine Meinungen. Die gedachten Hypothesen aber sind nur problematische Urtheile, die wenigstens nicht widerlegt, obgleich freilich durch nichts bewiesen werden können, und

sind
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Immanuel Kant: Critik der reinen Vernunft (1781). Johann Friedrich Hartknoch, Riga 1781, Seite 781. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kant_Critik_der_reinen_Vernunft_781.png&oldid=- (Version vom 18.8.2016)