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830 Methodenlehre II. Hauptst. III. Absch. 830

kein Mensch bey diesen Fragen frey von allem Interesse. Denn, ob er gleich von dem moralischen, durch den Mangel guter Gesinnungen, getrent seyn möchte: so bleibt doch auch in diesem Falle genug übrig, um zu machen, daß er ein göttliches Daseyn und eine Zukunft fürchte. Denn hiezu wird nicht mehr erfodert, als daß er wenigstens keine Gewißheit vorschützen könne, daß kein solches Wesen und kein künftig Leben anzutreffen sey, wozu, weil es durch blosse Vernunft, mithin apodictisch bewiesen werden müßte, er die Unmöglichkeit von beiden darzuthun haben würde, welches gewiß kein vernünftiger Mensch übernehmen kan. Das würde ein negativer Glaube seyn, der zwar nicht Moralität und gute Gesinnungen, aber doch das Analogon derselben bewirken, nemlich den Ausbruch der Bösen mächtig zurückhalten könte.

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 Ist das aber alles, wird man sagen, was reine Vernunft ausrichtet, indem sie über die Gränzen der Erfahrung hinaus Aussichten eröfnet? nichts mehr, als zwey Glaubensartikel? so viel hätte auch wol der gemeine Verstand,

stand,

    ein natürliches Interesse an der Moralität, ob es gleich nicht ungetheilt und practisch überwiegend ist. Befestigt und vergrössert dieses Interesse und ihr werdet die Vernunft sehr gelehrig und selbst aufgeklärter finden, um mit dem practischen auch das speculative Interesse zu vereinigen. Sorget ihr aber nicht davor: daß ihr vorher, wenigstens auf dem halben Wege, gute Menschen macht, so werdet ihr auch niemals aus ihnen aufrichtiggläubige Menschen machen!

Empfohlene Zitierweise:
Immanuel Kant: Critik der reinen Vernunft (1781). Johann Friedrich Hartknoch, Riga 1781, Seite 830. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kant_Critik_der_reinen_Vernunft_830.png&oldid=- (Version vom 18.8.2016)