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48er Ideologien, von dem Symbol des politischen Dichters als des Dichters schlechthin gefangene Schwarmgeister werden in ihm einen großen Dichter sehen. Er war ein kleiner Dichter, aber immerhin ein Dichter. In seinen Versen rauscht die schwarzrotgoldene Fahne und klirren die Sensen aufrührerischer Bauern. Historisch sind die 48er Lyriker als die eigentlichen Träger des Revolutionsgedankens von größter Bedeutung. Alle Revolutionen sind mehr oder weniger von Literaten gemacht worden. Jahre und oft Jahrzehnte schon vor der Explosion begannen sie, Bomben zu legen und zu minieren. Das menschlich wie dichterisch fortreißendste Revolutionslied stammt von Heinrich Heine (aus Düsseldorf, 1797–1856): „Die schlesischen Weber“:

Im düstern Auge keine Träne,
Sie sitzen am Webstuhl und fletschen die Zähne:
Deutschland, wir weben dein Leichentuch,
Wir weben hinein den dreifachen Fluch:
Wir weben, wir weben!

Um keinen deutschen Dichter ist so heftig der Kampf der Meinungen entbrannt wie um Heine. Man erhob ihn in den höchsten Himmel. Stieß ihn in die tiefste Hölle. Man bleibe in der Mitte: lasse ihn auf Erden: hier war sein Platz und wird es immer sein als der eines tapferen Soldaten des Geistes und eines eigen- und einzigartigen Liedersängers. Er gehört mit Goethe, Eichendorff, Möricke zu den Meistern des deutschen Liedes: jener ganz besonderen, dem Volkslied entnommenen deutschen Dichtform, einer Form, wie sie die Romanen nicht kennen. Schmerz und Lust, Tod und Liebe sind die einfachsten Themen seiner einfachen Lieder. Laßt nur auf Schmerz sich Herz, auf Tod sich Morgenrot reimen: es sind die schönsten Reime, die man dazu finden kann. Man braucht sie gar nicht erst zu suchen, sie sind schon da: sie sind als Reimpaare in der deutschen Sprache und im deutschen Herzen zur Welt gekommen. Aber Heine singt nicht immer so einfache Lieder. Zuweilen wird es ihm unerträglich,

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Klabund: Deutsche Literaturgeschichte in einer Stunde. Leipzig-Gaschwitz: Dürr & Weber, 1920, Seite 64. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Klabund_Deutsche_Literaturgeschichte_in_einer_Stunde_064.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)