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Mörike, Raabe, Leuthold, C. F. Meyer, Fontane spendeten, nicht recht munden wollte. Einzig Theodor Fontane (aus Neuruppin, 1819–1898) brachte es zu einiger Berühmtheit, nicht aber wegen seiner großen Kunst der Milieu- und Menschenschilderung, sondern wegen seiner stofflichen Vorwürfe, die er meist dem Leben des märkischen Adels entnahm. Niemand hat das Gute und Edle, was im spezifisch-junkerlichen Typus steckt: die starre Pflichterfüllung, das karge, wie hinter geschlossenen Türen geführte Gefühlsleben, das moralisch-märkische Pathos reiner glorifiziert und geschildert als Fontane im „Stechlin“. Auch das alte Berlin der siebziger und achtziger Jahre fand in ihm seinen berufenen Schilderer. Wer sich vom heutigen Berlin entsetzt abwendet, versäume nicht, dem Fontaneschen Berlin einen Besuch abzustatten. Er wird entzückt aus diesem Berlin, das unwiederbringlich dahin ist, zurückkehren. Das Gelungenste und Geformteste in Fontanes Romanen sind die Frauengestalten: Cecile und Effi Briest wandeln in einem Reigen mit Mignon und Philine, Liane und Toni Häusler.


Otto Ludwig und Theodor Fontane im Erzählerischen, Hebbel und Anzengruber im Dramatischen, Leuthold im Lyrischen, sind die Vorläufer und Fanfarenbläser der Bewegung, die man als die naturalistische bezeichnet hat. Es ist zu bemerken, daß Naturalismus, Impressionismus, Expressionismus, Futurismus nur Hilfsworte sind, um Begriffen und Bewegungen, Ideen und Wallungen beizukommen. Wo der Ismus aufhört, da fängt der Dichter erst an, denn letzten Grundes macht die Einzelseele, nicht die Massenpsyche oder -psychose erst den Dichter zum Dichter. Jeder Mensch hat wohl eine bestimmte seelische Richtung, in der er läuft, und wer in derselben Richtung geht, den begrüßt er als seinen Weggenossen mit besonderer Herzlichkeit. Nun gibt es aber viele Wege. Viele Wege führen nach Rom:

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Klabund: Deutsche Literaturgeschichte in einer Stunde. Leipzig-Gaschwitz: Dürr & Weber, 1920, Seite 80. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Klabund_Deutsche_Literaturgeschichte_in_einer_Stunde_080.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)