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Zudem würde auch auf diesem Wege wieder für die verheirateten Gefangenen eine Vorzugsstellung geschaffen, die ihnen physiologisch vor den Unverheirateten nicht zukommt. Der Gedanke aber, auch Unverheirateten solchen Besuchsverkehr zu gestatten, liegt außerhalb jeder ernsten Erörterung.

Genau da, wo das Vorstellungsvermögen des Herrn Gentz aufhört, fängt das unsre an. Genau da, wo jener versagt, leben wir. Wie? Man soll also erst den gestempelten Schein des Standesamtes vorweisen, bevor man sein menschlichen Recht auf die Urbetätigung eben dieses Menschengeschlechts geltend machen darf? Zehntausende sollen darunter leiden, daß Herr Gentz noch nicht so weit ist? Daß für diese Beamtenkaste der Geschlechtsverkehr etwa auf derselben Stufe steht wie die Dichtkunst für einen Feldwebel? „Son Quatsch …“ Im Grunde etwas Verdächtiges, nichts für einen ernsten Mann. Dieses Unsittengesetz da ist keines. Und Proletarier sind nicht, wie Gentz zu glauben scheint, eine andre Rasse: er und die Proletarier sind einander nachts viel näher, als er ahnt.

Es ließe sich aber dieses beides ermöglichen, wenn man nur wollte: der Sexualverkehr in der Anstalt, und der außerhalb der Anstalt.

Die Urlaubserteilung wird sorgfältig zu prüfen sein; die Gewährung des Sexualverkehrs innerhalb der Anstalt kann in kleinen Gebäuden vor sich gehen, die nicht unmittelbar mit der Anstalt verbunden sind – die Garantien, einen Fluchtversuch zu verhindern, lassen sich schaffen, alles das ist durchführbar: wenn man nur mit den Gefangenen arbeitet, mit ihnen, statt auf ihrem Rücken und gegen sie.

Gentz weiß, wie feindlich die Gefangenen der Verwaltung gesinnt sind; das muß aber nicht sein. Er erkennt auch, woran es liegt – aber er ist viel zu sehr in den Anschauungen der deutschen Beamten, also einer gewissen, nicht immer sehr hochstehenden

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Kurt Tucholsky: Lerne lachen ohne zu weinen. Ernst Rowohlt, Berlin 1932, Seite 99. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Lerne_lachen_ohne_zu_weinen_099.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)