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Soweit das Geschlechtsleben der Wilden. Das Geschlechtsleben der Gezähmten lernen wir aus einem Werkchen von vierhundert Seiten kennen: „Die (Klipp-)Schule der Liebe“ von Diotima (bei Eugen Diederichs in Jena). Die Zeiten sind so traurig, und man ist für jede Aufheiterung so dankbar … Auf dem Buchumschlag: „Diotima bittet dringend, alles Nachforschen nach ihrem Namen zu unterlassen, denn sie will nicht auf dieses Buch hin angesprochen werden.“ Keine Sorge – auf dieses Buch hin gewiß nicht. Also jetzt gehts los.

Man stelle sich eine brave, normal-sinnliche, etwas mit Edelmut geladene Frau vor, die plötzlich vom Dämon und vom Verlag Diederichs gepackt wird: „Es muß etwas geschehn!“ Und es geschieht etwas. Die Dame setzt ihr Geschlechtsleben in ein Manuskript um … also das ist nicht zu sagen. Dieser Mangel an Geschmack ist gradezu grotesk. Man sieht ordentlich, wie das arme Wesen dasitzt, an der Schreibmaschine nagt und sinnt: „Was haben wir denn noch gemacht … ja, richtig!“ und dann gehts wieder los, und sie übersetzt ihre Erlebnisse in ein grauenvolles Deutsch, gemischt aus Freud, einem vermanschten Zeitungsjargon und jenem gehobenen Stil, der sich im Deutschen gern durch substantivierte Infinitive ankündigt: in ein „Nicht-stärker-empfinden-können“. Wenn du irgendwo so einen Infinitiv siehst, dann wisse: hier ist das musikalische Lymphdrüsensystem geschwollen. Der mit Verlaub zu sagen Stil der Dame Diotima ist nicht von Pappe. Doch, er ist aus Pappe. Sie hat eine gewaltige Abneigung, die Dinge, mit denen sie sich nun einmal – die Sache wills, mein Herz! – befassen muß, beim richtigen Namen zu nennen. Daher gibt sie ihnen neckische Kosenamen; man bekommt die Seekrankheit auf festem Land. „Liebesmuschel“ ist ja schon nicht heiter – aber wenn ich denke, daß das jemand „Liebeshöhle“ nennt, dann gehe ich einsam in ein

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Kurt Tucholsky: Lerne lachen ohne zu weinen. Ernst Rowohlt, Berlin 1932, Seite 218. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Lerne_lachen_ohne_zu_weinen_218.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)