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„Ich bin gar nichts“, sagte ich und schämte mich.

„Hm –“ machte der Meister und wiegte bedenklich das Haupt. „Wozu brauchen Sie da noch Rat? Nun, immerhin … ich bin zu Ihrer Verfügung.“

„Meister“, sagte ich und faßte mir ein Herz, „lehren Sie mich, wie man zu Erfolg kommt. Wie haben Sie Erfolg gehabt? Diesen Erfolg?“ Und ich wies auf das komfortabel hergerichtete Gemach: Bücher mit goldverzierten Pergamentrücken standen in wuchtigen Regalen, eine bronzene Stehlampe strahlte behaglich gedämpftes Licht aus, und der breit ausladende Aschbecher, der vor mir stand, war aus schwarzgeädertem Marmor. „Woher das alles?“ sagte ich fragend.

Der Meister lächelte seltsam.

„Erfolg? Sie wollen wissen, wie ich Erfolg gehabt habe, junger Mann? Junger, junger Brausekopf! Nun: ich habe mich gebeugt.“

„Nie täte ich das. Nie!“ sagte ich emphatisch.

„Sie müssen es tun“, sagte er. „Sie werden es tun. Was taten Sie im Krieg?“

„Ich war“, sagte ich und sah auf meine Stiefelspitzen, „Schipper.“

„Falsch!“ sagte er. „Wären Sie ein tüchtiger Kerl und lebensklug, so hätten Sie anderswo sitzen müssen: in einer Presseabteilung, bei der politischen Polizei, was weiß ich. Wissen Sie, was ein Kompromiß ist? Können Sie Konzessionen machen?“

„Niemals!“ rief ich.

„Sie müssen sie machen. Sie werden sie machen. Sehen Sie mich an: ich bin die nahrhafte Frucht der Kompromisse. Man muß im Leben vorwärtskommen, junger Freund!“

„Aber die Wahrheit? Aber die Ideale?“ rief ich lauter, als schicklich war. „Aber das, wofür zu leben sich verlohnt?

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Kurt Tucholsky: Lerne lachen ohne zu weinen. Ernst Rowohlt, Berlin 1932, Seite 275. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Lerne_lachen_ohne_zu_weinen_275.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)