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als ich eine unbeschriebene Art entdeckte, erfüllte Größenwahn mein Gemüt bis zum Rande.

Nun, nach mehr denn zwanzig Jahren, saß der Troctes vor mir, sah mich mit seinen altmodischen Augen an und schraubte meine Erinnerung um zwei Jahrzehnte zurück. Wie aus weiter Ferne klang das, was meine Freunde über Okkultismus sprachen. Ich mußte lachen. Okkultismus! Braucht es dazu somnambuler Medien, Trancezustände und Geisterschrift? Hier, diese Bücherlaus, knapp einen Millimeter lang, ist ein eben so großes Geheimnis, wie die Seele des Menschen. Wer das Geheimnis von Troctes kennt, dem ist Anfang und Ende aller Dinge vollkommen klar; er weiß alles. Und er weiß natürlich auch gar nichts, denn so ist es: je mehr wir wissen, um so mehr erkennen wir, wie wenig es ist. Die steinerne Sphinx der Wüste ist nicht so furchtbar, wie die Bücherlaus. Hätte Ramses der Große sie gekannt, er hätte ihr Bildnis, riesenhaft vergrößert, aus grauem Granit meißeln lassen und darunter die Worte gefügt: „Sie ist schrecklich; sie ist der Schlüssel zu allem Nichtwissen.“

Nicht umsonst nannte sie der große Zoologe Müller Troctes divinatorius, die weissagende Bücherlaus. Er tat das nicht, weil man ihr nachsagte, sie verursache ein Klopfgeräusch, was übrigens nicht wahr ist, und sie verkünde damit das Sterben eines Menschen, sondern aus dem Humor einer tiefen Weltweisheit heraus, die an einem Insekt von Millimetergröße ebensoviel lernt, wie an einem Mammut. Und wahrhaftig, der Troctes kann weissagen; wer sich ihn genau ansieht, der findet die ganze Evolutionstheorie in ihm und die Lehre von der Konvergenz der Gattungen ist deutlich in ihm ausgesprochen. Er braucht nur die andere Bücherlaus, die hübsche, rotgepunkte Atropos, dagegen zu halten, um die Lehre von der ursprünglichen Einheit aller Dinge zu begreifen, um Monist oder Pantheist oder Materialist oder Deist oder Mono- oder Polytheist oder was er sonst will, zu werden, um

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Hermann Löns: Der zweckmäßige Meyer. Sponholtz, Hannover 1911, Seite 119. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Loens_Der_zweckmaessige_Meyer.pdf/125&oldid=- (Version vom 1.8.2018)