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DIE BAUMATERIALIEN
(28. august 1898)


Was ist mehr wert, ein kilo stein oder ein kilo gold? Die frage erscheint wohl lächerlich. Aber nur für den kaufmann. Der künstler wird antworten: Für mich sind alle materialien gleich wertvoll.

Die Venus von Milo wäre gleich wertvoll, ob sie nun aus schotterstein – in Paros werden die straßen mit parischem marmor geschottert – oder aus gold bestünde. Die Sixtinische Madonna würde keinen kreuzer teurer zu stehen kommen, wenn Raffael auch einige pfund gold in die farben gemischt hätte. Ein kaufmann, der daran denken müßte, die goldene Venus im bedarfsfalle einzuschmelzen oder die Sixtinische Madonna abzuschaben, wird freilich anders rechnen müssen.

Der künstler hat nur einen ehrgeiz: das material in einer weise zu beherrschen, die seine arbeit von dem werte des rohmaterials unabhängig macht. Unsere baukünstler aber kennen diesen ehrgeiz nicht. Für sie ist ein quadratmeter mauerfläche aus granit wertvoller als einer aus mörtel.

Der granit ist aber an und für sich wertlos. Draußen auf dem felde liegt er, jedermann kann ihn an sich nehmen. Oder er bildet ganze berge, ganze gebirge, die man nur abzugraben braucht. Man schottert mit ihm die straßen, man pflastert mit ihm die städte. Es ist der gemeinste stein, das gewöhnlichste material, das uns bekannt ist. Und doch soll es leute geben, die ihn für unser wertvollstes baumaterial halten.

Diese leute sagen material und meinen arbeit. Menschliche arbeitskraft, kunstfertigkeit und kunst. Denn der

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Adolf Loos: Adolf Loos – Sämtliche Schriften. Herold, Wien, München 1962, Seite 99. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Loos_S%C3%A4mtliche_Schriften.pdf/98&oldid=- (Version vom 1.8.2018)