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Ludwig Hevesi (1843-1910): Ludwig Speidel, Schriftsteller

prächtiges Kostüm zurechtschneidert. Oder meinetwegen wie ein Meisterschneider, der das nämliche tut; in seinem Fach ein Makart. Der Brokat mag ein Kunstwerk sein, das Kostüm ist es auch und kommt ins Museum. Übrigens sind die besten Kritiken Sp.s wahre Muster dessen, was man zu seiner Zeit und angesichts seiner Urteilsfällungen anfing die »produktive Kritik« zu nennen. Er selbst hat sich über dieses Thema schon sehr früh und noch sehr bescheiden geäußert, im Nekrolog des französischen Kunstkritikers Gustave Planche (1857):

»Unproduktivität ist der Hauptvorwurf, den man gegen die Kritik vorbringt. Er entspringt aus einem doppelten Mißverständnis: einmal, indem man die Aufgabe der Kritik, und dann, indem man das Wesen der Produktion verkennt. Kritik besteht weder in Lob noch in Tadel. Lobt oder tadelt sie, so ist ihr das nicht Zweck, sondern bloß eines ihrer Mittel. Lob und Tadel ist nur die helle oder dunkle Farbe, welche das Urteil annimmt, und Urteil ist die Seele der Kritik. Tadeln, man mag es zugeben, ist leicht; es ist so leicht (und was ist leichter?) als loben. Aber tadeln mit Verstand, das ist doch das leichte Ding nicht, wofür man es gemeinhin ausgibt. Urteilskraft im höchsten Sinn ist ein so seltenes Kraut wie Genialität. Oder weisen die Annalen der Kunst und Literatur eine reichere Fülle großer Kritiker auf als großer Dichter und Künstler? Das Verhältnis ist eher umgekehrt. Auf unsere Klopstock, Goethe, Schiller haben wir nur einen Lessing. Diese Tatsache, kann man einwenden, spricht aber gerade gegen den Wert der Kritik überhaupt, und insbesondere gegen den Wert der heutigen Kritik – denn wo ist euer Lessing? Die Antwort ist uns leicht gemacht. Wir antworten fragend: Wo ist Klopstock, wo Goethe? Man darf dreist behaupten, die Klopstock und Goethe von heute haben ihre Lessinge gefunden. Ja, die Gegenwart hat mehr Verstand als Genie – ein Übergewicht indessen, worauf der Verstand wenig Ursache hat stolz zu sein. Die Kritik ist freilich nicht produktiv in dem Sinne, daß sie, wie Kunst und Dichtung, aus dem Ursprünglichen herausarbeitet. Mit einem Worte: sie schafft nicht. Ihr Zweck ist vielmehr das Begreifen eines Werkes, ihr Organ der Verstand, die Form ihrer Äußerung das Urteil. Allein als ein Hilfsmittel der Produktion wird man sie wohl müssen gelten lassen. (Er zitiert Lessing, der sich für keinen Dichter hält, als Muster für kritikfeindliche Herren, die nicht würdig, ihm die Schuhriemen aufzulösen.) Aber auch an und für sich ist die Kritik produktiv. Börnes Theaterkritiken stehen manchmal als Produktion höher als die Theaterstücke, die sie behandeln. (Houwalds »Bild« und »Leuchtturm« – Lessing und Goeze usw.) Jene Produzenten sind vergessen, der Kritiker lebt fort und wird fortleben, solange noch ein deutsches Wort erklingt.« In späteren Jahren hätte Sp. dies in siegreicherer Tonart geschrieben; er selbst war sein Argument geworden.

Und er war ja, wie Lessing, Dichter. Ganz köstlich konnten manchmal seine zwei Eigenschaften ineinander spielen. In einem jener Stimmungsbilder von den Weinhügeln um Wien, über Nußdorf oder Sievering, schildert er die Lerche. Wie sie im Blau schwebt und singt, wie sie ist und tut, ganz und gar. Dabei dichtet und kritisiert er zugleich, die Lerche wird ihm zur Sängerin, das Gedicht durchdringt sich mit Rezension, Natur und Theater kennen sich nicht mehr voneinander, und das Ganze hat einer geschrieben,

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Ludwig Hevesi (1843-1910): Ludwig Speidel, Schriftsteller. Reimer, Berlin 1908, Seite 210. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ludwig_Speidel,_Schriftsteller.pdf/18&oldid=- (Version vom 1.8.2018)